Ich verkrümle mich
Heute bezog ich – überraschend spät für meine Verhältnisse – meinen menschenfeindlichen Tag. Das passiert mir eigentlich immer auf Kreuzfahren, denn auch wenn es auf dem Schiff durchaus Ecken gibt, in die man sich verziehen kann, ist es für mich doch recht anstrengend, so lange Zeit so viele Menschen um mich herum zu haben.
Ich ging also relativ früh hoch an Deck, frühstückte dann alleine und nahm den 2. Shuttlebus ins Zentrum von Praia da Vitoria (wir liegen immer noch vor Terceira). Besser gesagt: Wollte ich nehmen, denn da ich die einzige war, entschied der Chauffeur, gar nicht erst loszufahren, sondern auf weitere Gäste zu warten. Nur kamen keine … Nach einer gefühlten Ewigkeit befahl ihm Kristin, eine der Scouts, endlich loszufahren, die Dame warte schon seit 20 Minuten. Was er auch grummelnd tat – nur um gleich wieder auf die Klötze zu treten, denn genau jetzt kamen noch 2 Leute die Gangway runter. Die hatten es aber überhaupt nicht eilig, wollten auch noch auf weitere Gäste kommen, die eventuell auch noch spazieren gehen würden, hatten sie doch gestern gesagt, oder nicht, Schatz? Ich forderte sie höflich auf, entweder draussen zu warten oder sich hinzusetzen, damit wir endlich losfahren könnten, da schnauzten sie mich an: Immer muss irgendjemand motzen! Wir sind hier im Urlaub und nicht auf der Flucht! Und irgendwie hatten sie ja recht, aber ich ja auch 🙂
Immerhin setzten sie sich, und wir konnten losfahren. Auf dem zentralen Platz waren gerade einige Händler dabei, den Weihnachts- und Neujahrsmarkt aufzubauen, und von der Polizeistation her krähte ein Hahn. Huh? Doch! Mehrmals! Ich brauchte lange, bis ich den Gockel fand, unter den Zierbüschen im gepflegten Vorgarten. Er schien sich hier sehr heimisch zu fühlen.
Ich spazierte durch den Ort, der recht ausgestorben wirkte: Offenbar machen die Leute hier frei zwischen den Festtagen. Oder sind bereits wieder irgendwo am Feiern: Gemäss Bordzeitung haben die Inselbewohner das mit dem Feiern wohl wirklich etwas übertrieben, denn vor 17 Jahren erliess die Inselverwaltung ein Gesetz, das pro Gemeinde und Werktag nur noch ein Fest erlaubt!
Der Ort ist hübsch, um mehrere kleine Buchten gruppiert, mit dem offenbar schönsten Sandstrand der Insel. Auf den Hügeln sind Überreste von Festungen sichtbar und weisen auf die siegreiche Vergangenheit des Ortes hin. Ich spazierte durch die Strassen ans Ende des Ortes, vorbei an einem hübsch angelegten Duftgarten und einem Vogelschutzgebiet und hatte sogar zwei Mal die Gelegenheit, einen der Spielplätze für Erwachsene auszuprobieren, von denen ich im Vorbeifahren bereits mehrere gesehen hatte: Nicht bei allen Geräten konnte ich herausfinden, wie sie benutzt werden, aber ich finde die Idee dieses Freiluft-Fitnessparkes gut. So was würde sich bei uns in Bad Zurzach auch gut machen!
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, zum Leuchtturm hochzukletter, aber da hätte ich ja dann auch wieder runterkraxeln müssen, und ich hatte meinen Klappstock nicht dabei, also liess ich es lieber bleiben und wanderte stattdessen um die Marina. Hier entdeckte ich zwei Skulpturen, die mich berührten, und eine Schule der schönen Künste, mit sehr speziellen Wanddekorationen.
Das Wetter war windig, aber doch warm genug, und so entschied ich mich, nicht mit dem Bus zurückzufahren, sondern die rund 5 Kilometer zu Fuss zurückzulegen. Was den Vorteil hatte, dass ich die Häuser teilweise von der Seite bzw. Der Rückseite sehen konnte (die Autostrasse verlief weiter oben). Von der Strasse aus sehen die Häuser nämlich alle wie gewöhnliche Wohnhäuser aus, nicht wie Bauernhäuser, obschon die ja alle Selbstversorger sind. Klar, Ställe brauchen die hier keine, weil Kühe, Pferde, Esel und Ziegen ja das ganze Jahr auf der Weide sind. Die Melkmaschinen sind auf Wagen montiert und folgen den Herden. Vermutlich brauchen die nicht einmal Hühnerställe (was den Polizeichef erklären dürfte), denn auch auf dieser Insel ist das grösste freilegende Wildtier das Kaninchen (oben auf dem Monte Brasil gebe es noch Gämsen, aber die sind gezüchtet und meistens im Gehege, daher zählen die nicht). Was ich sehe sind Gärten, Schuppen oder Werkzeughäuschen, oft auch Terrassen mit Cheminée oder sogar richtigen Steinofen.
Kurz bevor ich das Schiff erreichte, sehe ich die ersten Stiere von nahe – bis jetzt waren die immer recht weit weg. Im Gegensatz zu den Kühen laufen die hier unten nicht frei rum, sondern sind angepflockt. Die Viecher sind riesig! Wenn ich mir vorstelle, dass die in den Nebelzonen oben frei rumlaufen, bin ich froh, sind wir da keinem begegnet. Auch wenn die gerade friedlich dösen und mich kaum anblinzeln.
Am Warenhafen sehe ich dann auch noch einige Fischer, die ihre Leinen sortieren. Fischfang ist auf Terceira nicht weit verbreitet, was einen in Anbetracht der schroffen Steilküsten nicht wirklich verwundert. Aber hier, von den sandigen Buchten aus, ist Fischfang offenbar gut möglich. Nur bin ich zu spät, um da wirklich was zu sehen: Die Schiffe sind längst ausgeladen.
Zurück an Bord hole ich mir einen Krimi in der Bibliothek und verziehe mich damit gleich wieder in eine ruhige Ecke. Gegen vier gönne ich mir ausnahmsweise Kaffee und Kuchen (das hatte ich bis jetzt konsequent ausgelassen). Kurz nach vier liefen wir aus. Der Wind hatte nicht nachgelassen, aber der Kapitän informierte uns, dass die Wellen ihre Energie ohnehin nicht vom Landwind her hätten, sondern sich auf dem Atlantik „aufluden“. „Aber viereinhalb Meter sind nicht wirklich hoch“, beruhigte er die Gäste – was nicht bei allen klappte und vermutlich glaubwürdiger geklungen hätte, wenn die Crew nicht gleichzeitig überall an strategischen Stellen Ständer mit Spucktüten hingehängt hätte.
Ich aber freute mich, hatte ich doch nun einen Grund, mich früh in die Kabine zurückzuziehen: Ich stockte meinen Kaffeevorrat auf und ging, eine Hand für mich, eine Hand fürs Schiff, unter Deck. Ich las noch etwas, legte mich dann aber schlafen: Es gibt nichts Schöneres, als sich in den Schlaf wiegen zu lassen!
Aus irgend einem komischen Grund warf der Kapitän dann gegen 22 Uhr noch die grossen (und lauten) Motoren an, die normalerweise nur beim Ein- und Auslaufen zum Zug kommen. Das weckte mich, aber ich entschied, dass ich jetzt auch nicht mehr zum Znacht zu gehen brauchte, und kuschelte mich wieder ein. Herrlich!
Ach ja, und weil ich danach gefragt wurde:
Ja, die Azoren haben AOC-Weine
Hallo Tagebuchschreiberin,
hast Du auch probiert von den AOC ? ? Wie hat es Dir geschmeckt ?
weiterhin viel Spass und lass Dich auf Madeira nicht von den schweren Süssweinen links erwischen, denn die schlagen rechts zurück !
mvG Kronenrolf