Kanaren-Azoren, Tag 4: La Gomera

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Wo ein Anpfiff Spass machen kann …

Kurz nach 7 durften wir heute im Hafen von San Sebastian anlegen. Der Kapitän hätte dies gerne schon etwas früher gemacht, aber hier haben Fähren Vorrang, weil sie für die meisten Einheimischen der einzige Zugang zur Insel sind. Zwar gibt’s auch einen kleinen Flughafen, für Inselhüpfen, aber das können sich nur die Touristen und allenfalls der Hoteldirektor des einzigen wirklich grossen Hotels auf La Gomera leisten. Die meisten Menschen verdienen hier nur zwischen 900 und 1000 Euro pro Monat – mehrheitlich im Tourismus und im Strassenbau, der von der EU aktuell subventioniert wird. Natürlich sind auch die Lebenshaltungskosten niedriger, v.a. auch, weil die Mehrwertsteuer, wie auf Lanzarote auch, nur 7 statt 19 Prozent beträgt.  Aber grosse Sprünge kann man mit diesem Salär eher nicht machen.

Dennoch ist das Leben heute um einiges angenehmer als noch vor 50 Jahren, wie wir später auf dem Auslug erfuhren. Erst aber genoss ich meine Morgenroutine: Aufstehen, Kaffee abfüllen und hoch auf Deck 10, wo ich gerade rechtzeitig zum Sonnenaufgang eintraf. Danach ein feines Zmorge und ab zum Bus, wo hier erfreulicherweise fast alles klappte: Nur einige Sicherheitsgurten brauchten ein paar Streicheleinheiten, bevor wir losfahren konnten: Die Fahrt sollte über etliche Serpentinen führen, anschnallen war Pflicht.

Unser Reiseleiter war ein Deutscher aus Nürnberg, den es vor 14 Jahren aus einer Schnapsidee heraus mit einem Kumpel hierher verschlagen hatte: Dessen Vater hatte hier eine Tourismusagentur, und die beiden, die eigentlich in der Pharmabranche arbeiteten, fanden es nach ein paar Biers und etlichen Ouzos beim Griechen eine gute Idee, sich den Sommerurlaub bezahlen zu lassen. Wie sich zeigte, war Daniel der geborene Reiseleiter – und blieb. Er hat Frau und Kind hier, und seine Begeisterung für die Insel war den ganzen Tag über spürbar.

Die Busfahrt führte erst Richtung Süden, durch den kargen und trockener Teil der Insel, auf den höchsten Punkt. Gestartet waren wir am Hafen bei knapp 20 Grad, wenn auch  sehr windig. Pro 100 Höhenmeter verloren wir ca. 1 Grad, so dass es auf gut 1200 m recht kühl war. Zum Glück hatte ich den Rat auf dem Ticket befolgt und eine Jacke mitgebracht. Wir unternahmen einige kurze Spaziergänge – la Gomera ist ja ein Paradies für Wanderer – und ich staunte, wie gepflegt und sauber die Wege sind. Bei jedem Rast- oder Aussichtplatz befindet sich eine Entsorgunsstation, wo die Abfälle getrennt entsorgt werden können, und die werden offenbar rege benutz – da liegt nichts daneben und kaum was herum

Oben, im alten Vulkankrater, befindet sich heute eine natürliche Lichtung mit einem riesigen Spiel- und Picknickplatz, der auch von Einheimischen gerne besucht wird. Obschon die Insel seit 5 oder 6 Monaten keinen Regen gesehen hat, ist hier alles üppig grün, Moose und Flechten hängen an den Bäumen – vorwiegend Lorbeer in verschiedensten Sorten, aber auch Erika-Bäume. Ja, die bunten Heidekräuter, die bei uns als Stauden bekannt sind, wachsen hier im Naturpark zu meterhohen Bäumen heran – und selbst die hiesigen Löwenzahn- und Margeritenstauden sind riesig. Da das grösste hier vorkommen Wildtier das Kaninchen ist (und nicht, wie einige Einheimische sagen, der Engländer zur Happy Hour), scherzte unser Guide: Wenn ihr seht, wie gross hier de Löwenzahn ist, könnt ihr euch vorstellen, wie riesig so ein Karnickel werden kann …

Begegnet sind wir allerdings keinem: Die erlebte Tierwelt bestand aus einer Katze mit extrem hohem Kuschelbedarf, ein paar Hunden, die einen Ziegenbock jagten und den Fischen am Hafen, die hier offenbar lesen können, denn direkt hinter dem Schild „Fischen verboten“ entdeckte ich einen Schwarm Riesenexemplare!

Aber zurück auf den Berg: Ich hatte zwar zur Vorsicht meinen Stock mitgenommen, weil in der Ausflugsbroschüre vor den vielen Stufen gewarnt worden waren, aber ich konnte locker mithalten. Ich genoss die Aussicht und schoss, wie ihr sehen werdet, zahlreiche Fotos (einige allerdings auch aus dem fahrenden Bus). Nach einer kurzen Weiterfahrt machten wir einen technischen Halt bei einer kleinen Kneipe, in der auch Angela Merkel regelmässig einzukehren pflegt, wenn sie über Ostern hier Urlaub macht. Für den einheimischen Schnaps mit Palmhonig war es mir allerdings etwas zu früh, ich entschied mich für eine andere Spezialität, einen Barraquito. Sehr fein! Wir genossen eine wunderbare Aussicht, da der Himmel völlig klar war – normalerweise hängen hier tiefe Wolken aus denen die Pflanzen das Wasser saugen, aber heute war ein Prachtstag. Oder, wie die Einheimischen offenbar sagen: Ein Tag, um Bauland zu verkaufen!

Der nächste Spaziergang führte uns zu einer Quelle, der Heilkräfte nachgesagt werden – allerdings nur, wenn man das Wasser von links nach rechts trinkt und sich dabei was wünscht. Daniel, der ehemalige Pharmamensch, bezeichnet sich selber nicht als gläubig, fand die ganze Beschreibung und das Brimborium aber nicht abwegiger, als gewisse Placebo, bestand aber darauf, dass wir uns was Gutes wünschten, nicht einfach ein neues iPhone oder so. Habe ich natürlich beherzigt …

Weiter ging die kurvenreiche Fahrt in den fruchtbareren Norden der Insel. Während die mühsam angelegten Terrassen im Süden heute kaum mehr genutzt werden (früher wurden dort Getreide angebaut, teilweise auch Kartoffeln und Wein), gibt es auf der grünen Seite doch grössere, gepflegte Terrassen: Kleine Kartoffeln können hier zwei oder drei Mal pro Jahr geerntet werden; Wein in Mengen, die den Eigenbedarf decken; Bananen in grösseren Mengen, aber nicht für den Export zugelassen, da zu klein und zu krumm – die werden nur auf den Inseln selbst und auf dem spanischen Festland verkauft. Palmhonig, der eigentlich Palmsirup ist, wird aus über 400’000 Palmen hergestellt – das sind mehr Bäume, als auf allen übrigen Inseln der Kanaren zusammengenommen. Da Wasser sehr rar ist, werden die Felder oder einzelnen Stauden möglichst gut vor dem Wind geschützt, um das Austrocknen zu verkleinern. Die hiesigen Reben sind gedrungen und ducken sich dem Boden entlang.

In einem kleinen Museum erhalten wir einen Eindruck davon, wie hart das Leben früher war, als die Menschen Lebensmittel und weiteren häuslichen Bedarf nicht einfach einfliegen konnten, sondern selber herstellen mussten. Und man kann es den Leuten wahrlich nicht verdenken, wenn sie die Terrassen, die ihre Vorfahren im Schweisse ihres Angesichts den Bergflanken abgetrotzt hatten, heute kaum mehr nutzen. Unterwegs zum Museum fuhren wir übrigens an einer Eisenwarenhandlung vorbei, die es locker mit unserem Bächle in Zurzach hätte aufnehmen können. Gemäss Daniel operiert der Besitzer nach dem Haufenprinzip – aber es gäbe nichts, was er nicht habe.

Mittagessen gab es in einem Restaurant mit spektakulärer Aussicht – und einem Skywalk über dem Abgrund. Ich musste schmunzeln: Heute wäre Mamis Geburtstag, und sie hatte fast das ganze Leben derartige Stellen gemieden. Nur kurz vor ihrem Tod, während der letzten Ferien in Leuk, als das Ende bereits absehbar war, fand sie, jetzt komme es auch nicht mehr drauf an … Ich war da nicht dabei, kenne die Geschichte nur aus den Schilderungen von meinem Bruder und meinem Vater. Aber selbst wenn heute nicht Mamis Geburtstag gewesen wäre, wäre sie da oben ganz nah gewesen.

Zu Essen gab’s übrigens feine Tapas, mit einem einheimischen Wein, der bereits beim Öffnen der Flasche so intensiv roch, dass ich zu schnuppern begann und beschied: Riecht gut! Die Frau, deren Mann die Flasche entkorkt hatte, schaute mich belustigt an: Das wollen Sie jetzt schon wissen? Ich nickte und ergänzte: stark erdig, aber auch fruchtig, mit etwas Nelke. Die beiden kuckten sich gegenseitig an, und mir war völlig klar, dass die mich für einen Snob hielten, der hier auf Weinkennerin machte. Er schenkte ein, führte das Glas zur Nase, stutzte – und nickte mir anerkennend zu: Tatsächlich Nelken!  – Manchmal ist es ja lästig, so als HSP (Highly Sensitive Person), aber heute fand ich das durchaus angenehm 🙂

Nach dem Essen erhielten wir eine kurze Einführung in „El Siblo“, die Pfeifsprache, mit der die Einheimischen sich früher über Schluchten hinweg unterhalten konnten. Zu Francos Zeiten wurde der Gebrauch verboten (in erster Linie, weil er nicht verstehen konnte, was die Leute sagten bzw. pfiffen, und weil er irgendwann begriff, dass die Übersetzer ihn belogen), heute wird sie an Schulen wieder gelehrt. Die beiden Kellner des Lokals übersetzten zuerst Floskeln und Sätze in Pfeifsprache. Aber da man uns ja alles hätte angeben können (obschon einige Worte tatsächlich zu erkennen waren – jedenfalls deren Vokale), veranstaltete Daniel einen Test: Während der eine Kellner auf der Terrasse servierte, tauschte er Menschen und Dinge aus. Und der andere Kellner musste,  nur mit Pfeifen, seinen Kollegen steuern, um wieder Ordnung zu schaffen. Was natürlich gelang, wie das Video zeigt:

Die Rückfahrt führte durch das fruchtbare Gebiet des Nordens, dann durch einen Tunnel zurück in den kargen Süden, bis runter nach San Sebastian, der Hauptstadt der Insel, wo mehr als die Hälfte der InselbewohnerInnen zu Hause sind. Ich stieg im Zentrum aus und spazierte noch etwas durch den Stadtpark, bevor ich zurück zum Hafen ging, mir einen Kaffee gönnte und den Blogpost vorbereitete. 

 

Ach ja: Heute Abend ist hier auf dem Schiff Hüttenzauber! Ich musste schmunzeln, als uns das Animationsteam im Dirndl bzw. in der Lederhose begrüsste. Ist es doch genau ein Jahr her, dass ich in Neuseeland Hüttenzauber-Feeling genoss …

Weiterführende Links:

Ein Gedanke zu „Kanaren-Azoren, Tag 4: La Gomera“

  1. Blauer Himmel – wolkenlos, bei uns sieht es ganz anders aus. Könnte ich die Antwort Dir pfeifen, Du würdest Dich wundern, nicht über meine beträchtliche Pfeifkunst, sondern über das triste Leben draussen.

    Liebe Grüsse Daddy

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