Kaum hatte ich es mir hier in Bad Zurzach gemütlich gemacht, flatterte mir das Kursprogramm der Volkshochschule Aargau – Zurzach ins Haus. Da mich alles Gedruckte magisch anzieht, blätterte ich die Broschüre durch – und staunte: Das hatte wenig mit der Volkshochschule gemein, die ich vor 20 Jahren kannte. Da gab es nicht nur endlose Sprachkurse (obschon es derartige durchaus noch gibt) und Makramee für Anfänger (zum Lampenschirm in 34 Wochen): Hier gibt es auch viele Halbtages-, Tages- oder Abendveranstaltungen, die einzelne Themen beleuchten. So etwas lässt sich bei meinem Beruf viel leichter dazwischen planen als Kurse mit festen Tagen – und einiges in diesem Programm klang SEHR verheissungsvoll. Zum Beispiel dieses:
Ich meldete mich an – der Kurs war dann relativ schnell ausgebucht – und machte mich heute frohgemut auf den Weg an die Landstrasse 122 in Wettingen. Nur dass Apple Maps mir einen Streich spielte und mich nach Nussbaumen schickte, obschon es immer von Wettingen sprach und schrieb. Da gibt es sowohl Strasse wie Nummer, nur ist da ein Schuh- und Orthopädiegeschäft … Eine nette Dame klärte mich auf, zeigte mir, wie ich möglichst schnell ans richtige Ort käme und gab mir Starthilfe bis zur ersten Bushaltestelle. So erreichte ich das süsse Paradies mit nur wenigen Minuten Verspätung – und konnte so nebenbei das herbstliche Baden geniessen:
Fabian Riemann war schon an der Begrüssung, und man merkte schnell: Hier hat jemand seine Berufung gefunden. Seine Begeisterung für Schokolade und was man daraus machen kann wirkt ansteckend. Gebannt lauschen wir seinen Worten – nur unwesentlich abgelenkt von verlockenden Schoggibrunnen.
Ca. 4 Tonnen Schokolade haben Fabian Rimann und sein Team 2012 von Hand verarbeitet, dieses Jahr dürften es etwa 6 sein, 10 werden angestrebt. Gearbeitet wird mit Edelschokolade von Felchlin, oft sortenrein und mit Arten, die nur in sehr geringen Mengen produziert werden. Als erstes dürfen jetzt aber wir arbeiten:
Jedes von uns darf eine 70 g Tafel giessen und verzieren – weiss, Milch oder dunkel. Die Kunststoffformen haben unterschiedliche Muster und glänzen leicht. Das liegt an der Kakaobutter, denn die Formen werden nach Gebrauch nicht gewaschen: So bildet sich ein leichter Film, welcher der Schokolade einen schönen Glanz verleiht. Deshalb müssen wir auch darauf achten, dass wir die Form nur aussen am Rand berühren: Fingerabdrücke würden den Film zerstören und sich auf der Schokolade abzeichnen. Fabian erklärt uns die Handhabung des Spritzbeutels, und wir giessen unsere Tafeln – ich natürlich dunkel. Nur mit dem Zielen hab ich’s nicht so: Vor lauter Konzentration verliere ich die Waage aus den Augen und lande bei 76 g. Halte mich dann dafür bei der Dekoration zurück – frau will ja fair bleiben. Im Gegensatz zu Fabian dürfen wir auch die Finger abschlecken – häufiges Händewaschen ist aber aus Hygienegrünen angebracht.
Die Formen entwickelt Fabian übriges selber – inspiriert von alten Formen, aber auch Formen auf Anfrage von Kunden.
Während unsere Tafeln trocknen, schauen wir ins Innere einer Kakaofrucht und testen eine einzelne Bohne. Das weisse Fruchtfleisch schmeckt angenehm fruchtig nach Lychee. Die Bohne schmeckt leicht nussig – und ziemlich bitter. Definitiv nicht nach Schokolade!
In einem kurzen Film erfahren wir, wie aus diesem Bitterling das wird, was wir alle so lieben: Die Bohnen werden aus der Schale gelöst und sehen aus wie riesige Engerlinge. Diese werden in Kisten gelegt, die mit Bananenblättern ausgekleidet sind. Darin fermentieren sie ca. 3 Tage und entwickeln dabei über 600 Aromen, die man später in der Schoggi findet. Der Prozess wird gestoppt, indem die Bohnen zum Trocknen ausgelegt werden. Übrigens: Die Bohnen wirken im Mund sehr lange nach! Sobald man etwas durch den Mund atmet, werden zahlreiche Aromen reaktiviert. Spannend!
Die weitere Verarbeitung erfolgt dann beispielsweise in der Schweiz: Die angelieferten Bohnen werden gereinigt, geröstet, gebrochen, vermahlen, geknetet und gewalzt. Was daraus entsteht, hat mir unserer heissgeliebten Milchschokolade immer noch recht wenig zu tun. Das Gebräu, das daraus ursprünglich als Trinkschokolade hergestellt wurde, fand in Europa zuerst wenig Freude, wie die Geschichte der Schokolade auf Wikipedia zeigt.
Philippe Suchard und Richard Lindt verdanken wir es, dass Schokolade heute nicht mehr so bitter schmeckt: 1826 erfand Herr Suchard eine Maschine, welche Zucker und Kakaopulver vermengte. 1879 gelang Herrn Lindt, eine Weiterentwicklung: eine Maschine, welche die Schokolade während 72 Stunden bewegte und ihr damit einerseits Feuchtigkeit entzog, wobei andererseits gleichzeitig die Bitterstoffe an die Luft abgegeben wurden. Das Resultat hatte nichts mehr mit der brüchig-sandigen Bittermasse zu tun, die man bis dahin kannte: Die glänzende Masse liess sich wunderbar formen und schmolz auf der Zunge.
Mehr über die Verarbeitung von Kakaobohnen zu Schokolade
Und damit wir das nicht nur hören, sondern auch schmecken, dürfen wir jetzt Schokolade-Pellets probieren, wie Fabian Rimann sie als Rohstoff bezieht. Natürlich schmecken diese hervorragend – und auch hier merkt man, dass die Aromen sehr viel länger im Mund bleiben als bei handelsüblicher Industrieschokolade, bei welcher die wertvolle Kakaobutter oft durch Palmfett ersetzt wird.
Während Fabian erzählt, laufen hinter seinem Kopf auf dem TV-Schirm Bilder einiger seiner Kreationen, und man kann kaum glauben, dass man das alles aus Schokolade herstellen kann. Doch, man kann: Fabian stellt uns zierliche Highheels hin, Werkzeug aus Schokolade, eine wunderbare Vase mit herrlichen Blumen … Eher so nebenbei erwähnt er, dass er damit auch Auszeichnungen gewonnen hat und im Kochteam sogar Weltmeister wurde.
Die Schaustücke könnte man essen – tun wir aber natürlich nicht. Dafür kosten wir die köstlichen Pralinen, die Fabian gerade im Angebot hat. Im Laden gibt es jeweils 6 Sorten zu kaufen. Nur sechs, mag man sagen, aber dass liegt daran, dass diese alle frisch und von Hand hergestellt werden. Jeden Monat werden 3 bis 4 Sorten saisonal ausgetauscht. Und so kommen wir heute in den Genuss von Pralinen mit Tahiti-Vanille, zwei Zwetschgenkompositionen – und ich kriege ein Quitten-Praliné! Als ob Fabian gewusst hätte, dass ich schon die ganze Woche mit diesen Früchten herum experimentiere … Ich sage euch: Die Dinger sind eine Sünde wert!
Chocolatier ist in der Schweiz ein aussterbender Beruf – zu unrecht, wie Fabian Rimann findet. Er selber bildet deshalb Lehrlinge aus, in einer Weiterbildung, die bei ihm 2 Jahre dauert. Basis ist eine Lehre als Bäcker-Konditor, Konditor-Confiseur oder Koch. Zuerst absolvieren die Nachwuchstalente bei ihm ein einjähriges Praktikum, dann das eigentlich vorgeschriebene Zusatzjahr. Sonst wäre der Stoff nicht zu bewältigen, denn die Hochsaisons von Weihnachten und Ostern sind sehr intensiv, und dann blieben nur wenige Wochen bis zur LAP. Immerhin: Die jüngste Teilnehmerin klingt sehr interessiert! Vielleicht hat die Begeisterung des Lehrmeisters ja abgefärbt? Oder waren das doch eher die Schoggibrunnen?
Unsere eigene Tafel
Jetzt ist der Moment, wo wir unsere Eigenkreation vollenden. Durch das Abkühlen hat sich der Schoggi zusammengezogen, so dass sich die Tafel problemlos aus der Form löst. Wer mag, betont die Strukturen der eigenen Schoggitafel mit Zauberpulver – in meinem Fall Bronze, es hat aber auch Goldstaub im Angebot. Danach verpacken wir die Tafel fachgerecht in Zellophansäckli. Idealerweise lässt man die Schoggi jetzt eine Woche (!) ruhen, damit die Aromen voll zur Geltung kommen. Luftdicht verschlossen, könnte man sie aber sehr lange aufbewahren (wobei das operative Wort hier KÖNNTE ist) …
Tipps von Fabian Rimann:
Industrieschokolade kann man im Kühlschrank lagern – Edelschokolade sollte bei Raumtemperatur aufbewahrt und genossen werden. Wichtig ist, dass man die Schokolade vor Fremdgerüchen schützt: Die Kakaobutter “saugt” fremde Aromen magnetisch an und hält sie fest. Es lohnt sich, Edelschokolade zu geniessen: Diese setzt auch Minuten nach dem Genuss immer wieder Aromen frei, ist intensiver in den Aromen und daher nachhaltiger. Lieber weniger, dafür bewusst geniessen.
Nach der heutigen Erfahrung kann ich ihm nur beistimmen!
Weitere Links:
Videos von Fabian Rimann in Aktion
Galerie von Produkten und Schaustücken von Fabian Rimann
Anleitung zum Schokolade-Gourmet
Das ist ja alles schön und Recht, aber der Aufwand ist mir zu gross, ich kaufe trotz allem lieber “Industrieschokolade”, kann sie dann aber sofort konsumieren. Es lebe die Kunst! Ich aber geniesse das Leben.
Wie bei so vielem hat wohl beides seinen Platz …