Kinder mit seltenen Krankheiten

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Erlebnistag für betroffene Familien in der Kindercity

Mir passiert es nicht oft, dass ich einen Blogpost erst einen Tag nach dem Ereignis schreibe – in diesem Fall brauchte ich aber die Nacht, um meine Gedanken und vor allem Gefühle zu ordnen. Zu tief hat mich der gestrige Anlass des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten, kurz kmsk, berührt. Ich bin vor einiger Zeit von Manuela Stier auf diesen Informations- und Erlebnistag aufmerksam gemacht worden: Ich kenne sie beruflich schon seit einiger Zeit, wusste aber nicht, dass sie sich mit diesem Förderverein engagiert. Weil mir das Thema Kinder generell am Herzen liegt, liess ich den gleichzeitig stattfindenden Bremgarten-Reusslauf sausen, der sonst den Start meiner Walkingsaison bildet. Ich wollte Manuela helfen, etwas mehr Öffentlichkeit zu schaffen für ein Anliegen, das ihr und rund 350’000 Kindern und Jungendlichen in der Schweiz am Herzen liegt.

Seltene Krankheiten? Von wegen!

Bereits diese Zahl liess mich aufhorchen: Wir sprechen hier von über 4 % der Kinder in der Schweiz! Und überall lese  und höre ich, das grösste Problem dieser Familien sei, dass sie sich so alleine fühlen mit ihrer Geschichte; ihren täglichen (und oft nächtlichen) Herausforderungen: den Irrwegen auf der Suche nach einer Diagnose, die vielleicht keine Heilung bringt, aber wenigstens Lösungswege, oder Perspektiven, was noch auf einen zukommen möge … Der Grund für diese Einsamkeit liegt einerseits wiederum bei den Zahlen: Zu den seltenen Krankheiten zählen über 7000 bekannte Diagnosen, die insgesamt jeweils bei weniger als 2000 Menschen vorkommen. Wären diese Krankheiten in der Schweiz regelmässig verteilt (was sie natürlich nicht sind), wären jeweils max. 50 Kinder betroffen. In der Realität kann es aber sein, dass ausgerechnet das Kind dieser einen Familie, die sich so allein fühlt, in der Schweiz tatsächlich das einzige ist …

Was fehlt, sind Öffentlichkeit, Sichtbarkeit und Coaching:

Eltern, deren Kind Auffälligkeiten oder diffuse Krankheitssymptome zeigt, müssen oft einen langen Weg gehen, bis zur Diagnose – und das meist alleine oder mit wenig Unterstützung. Das Gesundheitswesen ist kantonal geregelt, es fehlen nationale Referenzzentren oder ein gezieltes Coaching von Eltern, die mit dem ganzen Wust von physischen, psychischen, emotionalen und administrativen Problemen oft allein gelassen werden. Das Bundesamt für Gesundheit kennt die Problematik und hat einen Massnahmeplan verabschiedet, wie Roger Staub vom BAG in seinem Kurzreferat aufzeigte, aber die Umsetzung obliegt den Kantonen, und damit die Handeln, braucht es öffentlichen Druck …

Kämpfen für sein Kind – 24/7

Im Gewusel in der Kindercity könnte man leicht übersehen, was Eltern und Familienangehörige Tag für Tag leisten: Kinder rennen hier durcheinander, schieben sich mit dem Rollstuhl zu einer der Attraktionen, werden von Eltern oder Geschwistern liebevoll geführt. Der Heissluftballon wird steigen gelassen, die Gondeln zu Tal sausen gelassen, ein Barstuhl wird zur Trommel, Kaffeebecher zu fliegenden Untertassen … Hier in der Kindercity sind die Kleinen im Element! Mich berührt, wie selbstverständlich die Kinder einander helfen – nicht nur Geschwister unter sich, sondern über die Familiengrenzen hinweg. «Das sind Freunde», erklärt mir ein Mädchen, denn offenbar kennt man sich von früheren Anlässen. Und dieses Netzwerk ist wichtig, gerade auch für die Eltern. Denn die Bezeichnung für das Syndrom, von dem das eigene Kind betroffen ist, mag unterschiedlich sein – die Probleme im Alltag sind oft dieselben: Pausenlose Präsenzzeiten; immer auf der Hut, ob sich die Situation verschlechtert; ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, das Kind zu fördern und zu fordern; am Kämpfen mit den Finanzen, weil Therapien, spezielle Kleider, Mobilitätshilfen etc. viel Geld kosten – und nicht immer klar ist, wer was (wenn überhaupt) übernimmt; der fehlende Austausch, der Mangel an Erfahrungen bei ÄrztInnen, Behörden, Institutionen; willkürliche (oder zumindest so empfundene ) Verordnungen durch Kinderärzte oder Behörden, mangelnde Kommunikation – etc. ad nauseam.

Fast das schlimmste sei die ewige Müdigkeit, sagt ein Vater. 15 Jahre immer auf Trab sein, jede Veränderung überwachen, üben, sich einsetzen … Und immer das schlechte Gewissen, weil man nie allen gerecht werden kann: Nach einem strengen Arbeitstag komme man nach Hause, man wisse, dass die Frau auch müde sei und eigentlich Entlastung bräuchte – und dann müsse man aushandeln, wer von beiden etwas weniger müde sein, um gewisse Dinge doch noch zu erledigen, weil sie einfach keinen Aufschub dulde. Ich empfinde grossen Respekt, weiss ich doch von meiner Freundin, was es heisst, rund um die Uhr für ein mehrfach behindertes Kind verantwortlich zu sein …

Und wenn ich schreibe, ich weiss, was das heisst, bwsagt das nicht, dass ich es tatsächlich nachvollziehen kann: Auch wenn meine Augen sehen und meine Ohren hören, was sie leistet, habe ich doch keine Ahnung, was diese Dauerbelastung für sie, ihren Körper, ihre Seele und ihre Beziehung bedeutet.

Ein Tag einfach “nur” Kind sein

Gestern, am Tag der seltenen Krankheiten, durften die versammelten Kinder einfach nur Kind sein – nicht Behinderte, nicht Träger eines Syndroms mit komischem Namen und vielen Symptomen, sondern Freundinnen und Freunde, die gemeinsam Gummistiefel bemalten und Schoggi gossen, Beziehungen auffrischten und neue eingingen. Ein Heer von Freiwilligen, alle gut erkennbar am T-Shirt mit Fredi, dem Froschkönig, unterstützten die Kleinen, wo nötig, während die Eltern im Kino mehr über die Leistung des Fördervereins erfuhren, über die Pläne des Bundesamtes für Gesundheit zur Verbesserung ihrer Situation – und über die Entstehungsgeschichte eines neuen Kinderbuches, «Kleine Ente, du bist stark», initiiert von Ancilla Schmidhauser und gezeichnet von Markus Pfister, dem Vater des Regenbogenfisches und anderer Kinderbücher. Beide haben gratis für das Buch gearbeitet, der Erlös aus dem Verkauf kommt dem Förderverein zu Gute.

Beim anschliessenden Apéro wurde eine wunderbare Torte angeschnitten und verteilt, mit dem Bild der Ente Lina und vielen feinen Marzipanfröschli, und jedes Kind durfte sich, wenn es Lust hatte, mit Fredi, dem Frosch fotografieren lassen – der erst noch eine Freundin mitgebracht hatte, so dass sich die Kinder herrlich an die kuschelig-weichen Frösche kuscheln konnte.

Ein Tag Solidarität spüren

Die Erwachsenen schätzten den Austausch untereinander; das Wissen, dass die Kinder bestens betreut wurden; die Freude, dass der Förderverein in den zwei Jahren seines Bestehens bereits so viel verbessern konnte – und äusserten die Hoffnung, dass Schreibende wie ich ihnen helfen könne, sichtbar zu werden in einer Welt, die für Familien wie sie oft kleiner, enger ist als für andere. Ich war tief berührt, wie offen sie mich teilhaben liessen an ihren Erfahrungen, Sorgen, Ängsten und Freuden – und wie mutig, fröhlich und respektvoll sie untereinander umgingen.

Was ich mitnehme

Ich verliess den Infotag mit gemischten Gefühlen: Bereichert durch die wunderbaren Begegnungen; zweifelnd, ob ich den Erwartungen gerecht werden könnte; inspiriert mit Ideen, Links und Möglichkeiten, mit denen ich meine Freundin besser unterstützen kann; wütend, wenn ich an einige Hindernisse denke, mit denen diese Familien immer und immer wieder kämpfen müssen; traurig, weil einige der Kinder, die ich kennengelernt habe, vielleicht nie erwachsen werden; hoffnungsvoll, weil ich Cindys Buch kennenlernte (mehr darüber in einem späteren Blogposts), verfasst von einer jungen Frau, über die die Ärzte sagten, sie würde nie alleine sitzen können, nicht gehen, nicht sprechen – und die heute all das kann, und noch viel mehr: Sie ist Botschafterin der Fördervereins, meistert ihre Herausforderungen (von Behinderungen mag sie nicht sprechen) und macht anderen Mut. Sehr beeindruckend:

Ich werde sicher am Ball bleiben, werde auch nach diesem Infotag den Förderverein unterstützen und Augen und Ohren anders offen halten …
Und falls auch Ihr den Verein unterstützen wollt:
Hier findet ihr weitere Informationen rund um die Mitgliedschaft, für Gönner und mehr! 

 

Hier einige Impressionen vom Infotag rund um Kinder mit seltenen Krankheiten in der Kindercity
(Einige Gesichter von Kindern habe ich unkenntlich gemacht: Die Veranstalter hatten zwar die Einwilligung der Eltern für ihre PR, ich konnte aber nicht alle Eltern direkt ansprechen und fragen und fand es in diesen Fällen respektvoller, die Kinder zu anonymisieren).