Marina Lodge, Tag 3

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Eine Frage der Einstellung

Auch heute morgen erwachte ich wieder kurz nach 7, als das Sonnenlicht durch das Fenster mein Bett erreichte. Trotz leichtem Muskelkater wiederholte ich mein Schlingentraining draussen auf dem Spielplatz. Der Wind schien kühler zu sein als gestern, aber da ich sofort in Bewegung war, war es auszuhalten.

Beim Frühstück alberte ich erst mit einem der Kinder und unterhielt mich dann mit einer älteren Dame, die ursprünglich Deutsche ist, aber offenbar seit längerer Zeit in Belgien lebt. Erst war das Gespräch ganz angenehm, wir unterhielten uns über die Auswahl am Buffet, über das Essen allgemein. Doch schnell wurde sie gehässiger, beschwerte sich über die Kellner, die oft etwas voreilig abräumten, über die hohen Kosten der Massagen (die ich gar nicht so extrem finde, aber sie meinte, in der Türkei kriege sie so was für 10 Euro. Kam leider nicht dazu zu fragen, wo – ich hatte seinerzeit mehr bezahlt – denn mitten im Satz zeigte sie plötzlich auf eine Französin, die gerade unterwegs ans Buffet war: «Jetzt holt die tatsächlich Nachschub! Als ob die nicht schon genug gefressen hätte …» Ich hatte keine Ahnung, ob und was die Gute vorher gegessen hatte, aber die Wortwahl missfiel mir extrem. Zudem kam ich mir, einmal mehr, vor, als wäre ich in einen Club geraten, in den ich gar nicht gehöre: Den Club der Schlanken, der Menschen, die sich mässigen und Disziplin haben. Vorsichtig antwortete ich: «Ich gehe auch lieber mehr als einmal ans Buffet, statt mir zu viel aufs Mal zu holen, das ich dann nicht esse.» Natürlich kam ich damit nicht durch: «Nein, nein, die hatte vorhin schon einen gefüllten Teller, und jetzt holt sie sich sicher noch Crêpes, hat sie gestern auch gemacht.» Huch, weiss die etwa auch von mir, was ich gestern gegessen habe? Und schon ging’s weiter: «Krank sieht die nicht aus, die ist einfach verfressen. Jedes Pfund geht durch den Mund, wie mein Vater zu sagen pflegte.» Nun hatte ich endgültig genug: «Wie wollen Sie das wissen? Sie kennen die Frau nicht und ihre Geschichte nicht. Und auch meine nicht – ich war noch vor wenigen Jahren mindestens so dick wie diese Dame …» Triumphierend fuhr sie dazwischen: «Eben! Aber Sie haben sich zusammengerissen! Sie haben…» Diesmal unterbrach ich sie: «Ich habe mich operieren lassen. Weil ich es anders nie geschafft hätte. Und nein,» hinderte ich sie daran, noch etwas zu sagen, «ich werde nicht weiter zuhören, wie sie über die Frau herziehen. Das ist respektlos und unfair.» Den zweiten Kaffee liess ich aus und verabschiedete mich. Langsam verstehe ich den Deutschen vom ersten Tag und seinen Spruch über sozial Benachteiligte … Ich frage mich schon, wieso solche Menschen verreisen, wenn sie doch nur alles negativ finden, wenn es anderswo billiger und besser sein soll. Wieso gehen sie dann nicht dahin?

Aber ich habe nicht vor, mir den Tag vermiesen zu lassen. Ich packe wieder mein Rucksäckli und starte zu meinem Morgenspaziergang. Die Temperatur ist angenehm, auch wenn der Wind nach wie vor etwas stärker ist als gestern. Ich stelle verblüfft fest, dass ich offenbar noch ein stärkeres Gewohnheitstier bin, als mir selber bewusst war: Obschon der Strandweg teilweise fast 20 Meter breit ist, treffe ich immer wieder auf meine eigenen Spuren von gestern und vorgestern. Was auch die Frage beantwortet, wieso es hier so viele Spuren hat, wo ich doch kaum Leute sehe: Der Strandweg ist eine Art analoge Timeline, mit Einträgen der letzten Tage … Der Sand ist so schwer und verkrustet, dass die Spuren trotz Wind nicht verweht werden, und Wasser kommt hier ja keins ran, wegen der Mole. Mal sehen, wie viele Spuren ich da neben- und übereinanderlegen kann!

Ursprünglich wollte ich heute eine Fahrt mit dem Yellow Submarine machen, aber auf dem Boot verkaufen sie keine Tickets, und der Ticketverkäufer am anderen Ende der Bucht war unauffindbar. Ein Kollege rief ihn schliesslich an, er meinte, ich solle in einer halben Stunde noch mal zurückkommen, dann wäre er da, das würde gerade noch reichen vor der Abfahrt, aber das war mir zu blöd: So hätte ich knapp 20 Minuten Zeit für meinen Kaffee gehabt, hätte dann am Submarine vorbei zum Ticketshop düsen müssen und wieder zurück zum Boot. Ich versuche es an einem anderen Tag noch mal oder bitte den Reiseleiter im Hotel, mir ein Ticket zu organisieren.

Im Bicafé kriege ich heute ein Tischtuch. Ich frage mich, ob das nun Sonntags- oder VIP-Service ist? Die Antwort kriege ich etwas später: Offenbar Sonntagsservice, denn alle Tische werden mit Weihnachtstischdecken geschmückt. Ich lasse mir Zeit, aktualisiere meinen Blog, surfe auf Facebook und Twitter, lade die Sonntagszeitung für später herunter und gönne mir einen zweiten Kaffee. Was unsere Zahlungsspirale in neuen Schwung versetzte: Kaffee 1 und Wasser hatte ich ja gestern bereits bezahlt, heute gab ich 5 Euro – und habe somit für morgen schon angezahlt. Muss daran denken, im Hotel meinen 50er gegen 5-er und 10-er zu wechseln – oder mich damit für den Rest der Ferien freikaufen …

Kurz nach 14 Uhr bin ich zurück im Hotel und treffe kurz auf Heike, die sich einer Gruppe Deutscher angeschlossen hat und sehr heiter wirkt. Sie laden mich ein, mich zu ihnen zu setzen, aber ich kneife … Auf meinem Zimmer mache ich mir einen Kaffee und geniesse ein paar Weihnachtsguetzli (danke, Agentur Fünfstern, an dieser Stelle für das tolle Timing, habe euer Geschenk grad vor dem Abflug erhalten und mitgenommen!), dann packe ich meine Badesachen zusammen und gehe an den Strand. Schwimmen kann ich nicht – es gibt mehr so eine Art Wattwanderung. Der Strand ist hier sehr flach, die Korallen fast völlig flachgeschliffen, aber sehr uneben, und ich traue mich nicht bis zur Riffkante raus, obschon ich sehe, dass zwei Kinder da abtauchen und schnorcheln. Ich bin nicht sicher, ob mein Knie das mitmacht – und wenn, ob ich dann wieder hoch klettern kann, wenn ich zurück will. Auf der anderen Seite der Bucht ist ein Strand mit einem Steg und einer Treppe, ich werde wohl besser mal dorthin gehen. Ich fotografiere ein paar schöne Korallen und Muscheln, dann lege ich mich in die Sonne, trinke den mitgebrachten Kaffee und lese etwas. Ich fühle mich rundum wohl und bin sehr froh, habe ich die Ferien nicht annulliert.

Auf den Liegestühlen neben mir treffen die beiden Leute ein, die mit Hotelplan nach Marsa Alam geflogen sind. Er erkennt mich sofort und fragt: «Sie schreiben doch diese Reiseberichte. Schreiben Sie auch über die Probleme hier?» Verwirrt frage ich: «Welche Probleme?» «Na, wie das hier aussieht! Im Bad hat’s Haare, die Fenster sind nicht geputzt, es gibt kein frisches Obst …» Ich fühle mich wie im falschen Film: Mein Zimmer ist sehr sauber, der Mann, der dafür verantwortlich ist, erkundigt sich jeden Tag bei mir, ob alles in Ordnung sei – sollte ich also störende Haare sehen, könnte ich es ihm sagen. Ob die Fenster geputzt sind, kann ich ehrlich gesagt nicht sagen, weil ich die nicht so genau angesehen habe. Da mich aber am Morgen die Sonne weckt, können sie wohl kaum allzu schmutzig sein. Und Früchte habe ich seit meiner Ankunft jede Menge gegessen … Letztere zähle ich auf, aber er unterbricht mich: «Aber es hat keine Bananen! Und die Mandarinen in der Pizzeria drüben im Ort schmecken viel besser …» Ich beisse mir auf die Zunge, schlucke jeden Kommentar runter und wechsle das Thema. Wir sprechen noch etwas über Ausflüge, die sie geplant haben, dann nehme ich demonstrativ mein Buch hoch. Für heute habe ich echt genug Gejammer gehört.

Was ist eigentlich mit den Leuten los? Das hier ist ein Dreistern-Hotel, und für das, was wir hier bezahlen, kriegen wir wirklich eine mehr als ordentliche Leistung. Das Personal ist freundlich und hilfsbereit – abgesehen von Ramses, dem Ladenbesitzer, der selbst mir etwas zu aufdringlich ist und dem ich heute ein paar klare Worte angedeihen liess.

Als die Sonne kurz nach vier verschwindet, wird es empfindlich kühler, so dass ich zurück zum Hotel spaziere, wo ich es mir auf dem Zimmer gemütlich mache, die Haare wasche und mich etwas ausruhe.

Kurz nach sechs gehe ich in die Bar, um mir vor dem Essen ein Glas Rotwein zu gönnen. Heute steht ein anderer Mann hinter dem Tresen, er findet sich nur schlecht zurecht, kennt die Cocktails nicht auf der Karte und hat Mühe mit der Kasse. Einige Gäste werden ungeduldig, aber ich habe Zeit. Neben mir sitzen zwei Deutsche, die das Ganze auch recht gelassen nehmen, wir plaudern etwas miteinander, und der eine flirtet sogar mit mir, bis er seinen Drink hat und zu seinen Kollegen zurück geht.

Hach! Ich fühle mich so wohl in meiner Haut wie schon lange nicht mehr. Ich geniesse die Bewegung an der frischen Luft, ich mag die Ruhe, die hier an den meisten Orten herrscht, und schätze die Auswahl am Buffet. Ich kann Gesellschaft haben, wenn ich will – kann mich aber auch zurückziehen, wenn mir der Sinn danach steht.

Auf Twitter habe ich heute morgen die Frage gelesen: Würdest du mit dir befreundet sein wollen, wenn du dich selber treffen könntest? Ja, würde ich! Und ich glaube, ich würde viel Spass haben mit mir. Ab und zu würde ich mir sicher auf den Keks gehen, und den einen oder anderen Klaps auf den Hintern gäbe es wahrscheinlich ab. Aber ansonsten wären wir, denke ich, ein gutes Team.

Vielleicht ist das der Unterschied zwischen mir und den Heikes, Deutsch-Belgierinnen und Haare-in-der-Suppe-bzw.-im-Bad-Finder hier?

 

Ein Gedanke zu „Marina Lodge, Tag 3“

  1. Liebe Lovey

    Vielen Dank für deine so trefflichen Beschreibungen – ich geniesse sie jeden Tag 🙂 Und ich kann dank dir auch ein bisschen Ferien machen.

    Herzliche Grüsse
    Claudia

    PS: JA! Ich bin, bleibe und werde auch in Zukunft mit dir befreundet bleiben – und hoffentlich nicht nur auf den Social Medias!

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