Salz und Wasser
Seit ich Schnorcheln ging, habe ich einen salzigen Geschmack im Mund. Erst dachte ich, das sei eben eine Folge meines Ausflugs, denn den einen oder anderen Schluck hatte ich schon abbekommen. Aber noch nach Tagen? Also habe ich heute kurz gegooglet, woher das kommen könnte. Offenbar gibt es verschiedene Ursachen, aber am Wahrscheinlichsten sei Dehydrierung. Das könnte hinkommen: Ich trinke hier eher weniger als Zuhause, weil ich ja kein Wasser ab Hahn trinken soll und sehr viel weniger Kaffee trinke. Den gibt’s, ausser beim Frühstück, nur in der Bar, und da wird mir zuviel geraucht. Und meine kleine Maschine macht ja nur Espresso, nicht die grossen Tassen, von denen ich Daheim schon so 5 oder 6 pro Tag trinke. Also kaufe ich heute mehr Mineralwasser und schütte es in mich hinein. Verdunste es aber auch gleich wieder, weil ich mich verschätzt habe:
Weil sowohl das Bicafé als auch die meisten Läden noch zu hatten, als ich meinen Spaziergang eigentlich beendet hatte, entschied ich mich, noch ein wenig mehr des Retortenortes zu erkunden. Ich entdeckte einen Aquapark (geschlossen); einen Kinderclub (geschlossen); ein internationales Konferenzzentrum, in dem ein Bürolist gerade von der Teepause kam, aber sonst offenbar nichts los war; eine Minigolfanlage, auf der tatsächlich gespielt wurde; ein paar Tennisplätze, auf denen aber niemand Bälle schlug; eine Apotheke, an der neben den Öffnungszeiten v.a. Werbung für Viagra ausgehängt war; eine Klinik, die zwar nicht rund um die Uhr geöffnet hat, im Notfall aber erreichbar sei; eine Moschee; einen Billiard- und Snooker-Raum; eine Bowlingbahn; eine Entsalzungsanlage; eine Forschungsanstalt; den Bauplatz für ein Fussballstadion. Die schönen Strassen mit den gepflegten Gartenanlagen endeten abrupt, dahinter war nur Wüste. Ich drehte rechts ab, gegen das Meer, und wollte dem Strand entlang zur Marina zurückgehen. Hätte ich auch fast geschafft, es fehlten nur noch etwas 500 m, aber da stand ein Security und schickte mich zurück: Privatstrand, nur für Gäste des Palace Hotels.
Inzwischen war es fast Mittag geworden, der Wind hatte etwas abgeflacht, und es war an sich wieder wärmer als die letzten zwei Tage. Ich hatte richtig Durst, als ich endlich die Corniche erreichte, und trank 6 dl Wasser und einen Kaffee. Da dieses Restaurant kein Internet hatte, kehrte ich anschliessend noch im Bicafé ein, gönnte mir einen Cheesburger (ohne das Brötchen), und noch einen Café. Weitere 6 dl Wasser trank ich auch dem Rückweg, hatte aber am Nachmittag doch Kopfweh. Also: Noch mehr Wasser … Das Resultat: Bei der Massage musste ich mich sehr zusammen reissen, je nachdem, wo der Kerl rumdrückte 🙂
Auf meiner Wanderung rund um die Marina, wo überraschend viele Schiffe ankerten, hatte ich auch heute wieder ein paar Muscheln aufgesammelt – die wurden hier beim Aushub der Marina mit dem Sand und den Steinen aufgeschüttet. Mich faszinieren vor allem jene, die wie Schneckenhäuser oder Hörnchen geformt sind. Ich hatte mir die letzten Tage zwar immer mal wieder überlegt, was ich mit den Dingern überhaupt machen will – ich bin ja eher nicht so der Basteltyp. Vielleicht einen Bilderrahmen dekorieren? Oder ein Windspiel auffädeln? Heute, auf dem Rückweg zur Marina Lodge, war mir plötzlich klar, wo die schönsten davon landen werden: Bei M. auf dem Grab. Es ist genau zwei Jahre her, dass wir im Spital darauf warteten, wie es nach dem Befund Hinrtumore weitergehen soll. Entgegen allen Prognosen war M. Der festen Meinung, dass sie wieder gesund werden würde: Sie sprach immer wieder mit mir über die Ferien, die sie danach machen würde, am Meer, irgendwo, wo es warm war. Selbst als sie auf der Pflegeabteilung war, ans Bett gefesselt, bat sie mich, ihr Reisekataloge zu holen – und ihre Badesachen.
Ich weiss bis heute nicht, ob sie selber tatsächlich daran geglaubt hatte, oder ob sie einfach versuchte, etwas Hoffnung zu bewahren und sich träumend aus dem engen Spitalzimmer an weite Strände und in fremde Länder zu retten. Und irgendwie machte es ab einem bestimmten Moment keinen Unterschied mehr: Es schien ihr Freude zu bereiten, Ferien zu planen, mit mir, so lange sie konnte, darüber zu sprechen – und später, als die Sprache immer mehr weg fiel, in den bunten Katalogen zu blättern. Ich bin sicher, hier hätte es ihr gefallen. Nicht, dass sie mit mir um die Marina gewandert wäre – aber sie hätte mich ermutigt, es zu tun: «Ich werde schon nicht verloren gehen ohne dich!» Und wenn ich von meinem Erkundungsgängen zurückgekommen wäre, hätte sie sich meine Fotos angesehen und meinen Geschichten gelauscht. Umgekehrt hätte sie mir ihre bissig-zutreffenden Beschreibungen der übrigen Gäste geliefert, die sie vom Liegestuhl aus beobachtet hätte. Sie hätte sich über mich lustig gemacht, weil ich am liebsten Sachen probiere, von denen ich keine Ahnung habe, was drin steckt – und hätte sich selber vorwiegend an Bekanntes gehalten. Und natürlich wäre sie jeden Tag geschwommen – als ehemalige Rettungsschwimmerin war das Wasser ihr Element. Ja, es hätte ihr gefallen – und ich hätte sie gerne noch einmal mit ans Meer genommen. Doch die Aliens in ihrem Kopf war leider stärker …
Alles, was mir bleibt: Etwas Meer zu ihr zu bringen.
Auch hier muss ich kurz korrigieren: Selbst Muscheln, die am Strand gesammelt werden, dürfen aus Ägypten nicht ausgeführt werden. Eigentlich logisch: Wie sollen die Unterscheiden, was man im Wasser geholt oder aufgesammelt haben … Auch hier: Bitte nicht nachmachen!