El Quseir
Gestern Abend teilte mein Guide mir mit, dass der Ausflug nach El Quseir nun endlich doch noch zustande gekommen sei – Abfahrt sei um 11 Uhr. Bis jetzt hatten sich dafür immer zu wenig Leute interessiert. Also ging ich heute morgen nicht spazieren, sondern marschierte nach dem Frühstück nur quer über die Terrasse ins Büro von Emperor Divers, um meine noch offene Rechnung zu bezahlen. Ich hatte mit Tracey besprochen, dass ich andernfalls noch einmal mit einem der Tauchboote rausgefahren wäre, um an einer anderen Stelle noch einmal zu schnorcheln. Während ich darauf wartete, dass ich bedient würde, sah ich mich etwas im Laden um und entdeckte eine Schnorchelmaske, die mir beim ersten Ausflug aufgefallen war: Zwei Holländer waren damit unterwegs und sahen aus wie Riesenameisen. Im Unterschied zu normalen Taucherbrillen umfasst dieses Teil das gesamte Gesicht. Man kann ganz normal durch Mund oder Nase atmen und sogar sprechen, der Schnorchel ist oben an der Stirn befestigt, unten am Kinn hat’s ein Ventil, damit allfällig eindringendes Wasser abfliessen kann. Sieht zwar echt bescheuert aus, ist aber, einmal montiert, erstaunlich bequem. Da ich inzwischen wirklich sehr viel Freude am Schnorcheln haben und mein Knie ja wieder mitmacht, gönne ich mir das Teil.
Dann heisst es erst einmal, sich von Moni und Chrisitan zu verabschieden, die heute nach Leipzig zurückfliegen. Vorher darf ich aber noch Klausi kennenlernen, Christians Plüschaffe, benannt nach dem frechen Rhesusäffchen der Affenschau des Zirkus Probst. Klausi hat zu Weihnachten von Moni einen neuen Anzug gekriegt, selber gestrickt und genäht, und Chrisitan ist sichtlich stolz auf das neue Outfit – und auf seine Mutter, die dem Affen ein tolles Weihnachtsgeschenk gemacht hat. Ganz unsicher fragt er plötzlich (die Mutter muss es mir übersetzen, denn er kann sehr schlecht sprechen), ob ich das doof finde, dass er mit einem Plüschaffen in Urlaub fährt. Ich finde nicht und erzähle ihm, dass ich mir mit 35 selber einen riesigen Teddy gekauft habe. Das schein ihn zu beruhigen, denn er gesteht mir, dass er neben Klausi auch noch Paul dabei hat – ebenfalls ein Affe, aber der ist jünger. Hat aber auch was Neues zum Anziehen gekriegt, an Weihnachten. Wäre sonst unfair. Dabei lacht er so verschmitzt, dass ich ihn am liebsten knuddeln würde. Gute Heimkehr, euch beiden! Und am Donnerstag ein frohes Wiedersehen mit Colin, denn darauf freut sich Christian schon lange.
Ich muss noch eine Weile warten, denn die anderen Gäste, die mit nach El Quseir fahren wollen, sind zwar pünktlich – das Auto, das uns fahren sollte, ist es nicht. Aus weiteren 5 Minuten, die wir warten sollen, werden fast 20 Minuten. Oder, wie der Guide sagt, 5 ägyptische Minuten. Meine Mitreisenden sind Deutsche, ein Paar und zwei Frauen, die erst vorgestern angekommen sind. Die Fahrt führt an der Marina vorbei, durch Port Ghalib, und vorbei am internationalen Flughafen Marsa Alam (der im übrigen noch kleiner wirkt als Belp). Unterwegs sehen wir einige Hotels, die fertig und geöffnet sind, aber auch viele Bauruinen, ein paar militärische Anlagen und einige einzelne Häuser, die teilweise recht verfallen aussehen, aber offenbar bewohnt sind.
Nach ungefähr 1 Stunde erreichen wir El Quseir. Hier sollen rund 50’000 Menschen leben, auch wenn ich mir das kaum vorstellen kann. Die Stadt hat eine fast 5’000 Jahre alte Geschichte, sichtbar davon sind allerdings nur Spuren: Reste der 450 Jahre alten Festung mit ein paar Kanonen; der alte Hafen, den schon die Römer benutzt haben sollen, ein paar alte Häuser, ein altes, verlassenes Schulhaus, eine alte Phosphatfabrik, die noch bis vor wenigen Jahren Arbeitsplätze und einen gewissen Wohlstand garantierte; Überreste der Hafenpromenade, die zwar, so gut es geht, gepflegt wird – wo aber doch ausser uns kein einziger Tourist zu sehen war.
Einzelheiten lassen erahnen, dass es dem Ort früher besser gegangen war: Die orthodoxe Kirche mit wunderschönen Schnitzereien und herrlichen Glasfenstern; wunderschön geschnitzte Balkone, filigran geschmiedete Gitter oder Treppen; schöne Teppiche, die ausgelüftet werden. Zwischen vielen Trümmern stehen einzelne Läden, die gepflegt wirken; in einem halboffenen Haus wird ein Mann rasiert; die Schulkinder kommen offenbar von der Schule nach Hause und lachen und winken fröhlich. Überhaupt sind die wenigen Menschen, denen wir begegnen, sehr freundlich und fröhlich, und es macht mich traurig zu sehen, wie dankbar sie sind, dass wir sie bzw. Ihren Ort besuchen.
Der junge Mann, der uns den Ort zeigt, spricht relativ gut Englisch und leidlich Deutsch. Er erzählt uns, dass die meisten Menschen hier vom Fischen leben, denn sonst sei nicht mehr viel übrig: Die Fabrik sei geschlossen, Touristen kämen nur sehr wenige, und die blieben vorwiegend in den Resorts. Wer dort Arbeit finde, habe lange Arbeitszeiten, aber wenigstens einen einigermassen geregelten Verdienst. Allerdings wisse man nie, wie lange man bleiben könne, weil immer weniger Touristen kämen. Früher habe man auf dem Bau auch recht gut verdienen können, aber viele Bauten sind gestoppt worden (was wir ja schon mehrmals gesehen hatten), weil den Investoren das Geld ausgegangen sei oder weil es für diejenigen, die jetzt noch ins Land kommen, ohnehin genug Betten hat.
Natürlich führt er uns am Schluss in einen Laden, der seinem Onkel gehört. Er liegt an der Hafenpromenade, in einem Gebäude, das nur im Parterre fertig gestellt ist, ist aber erstaunlich gepflegt. Verkauft werden mundgeblasene Glaswaren aller Art, viele davon von der Mutter des Inhabers entworfen und hergestellt. Andere, wie die Parfumflakons werden ganz offenbar eingekauft, denn die sieht man hier überall. Erst erhalten wir alle einen Malventee, dann präsentiert uns diverse Parfumöle und demonstriert anschaulich, was diese von herkömmlichen Parfums unterscheidet: Sie enthalten keinen Alkohol, das heisst, sie verflüchtigen sich nicht. Er gibt einen einzigen Tropfen Duftöl in ein Glas frisches Wasser, an dem er uns vorher hat riechen lassen, und wir alle sind erstaunt, wie intensiv das Wasser riecht. Wir Damen erhalten alle ein Glasflakon geschenkt, dann lässt er uns diverse Öle auf der Haut probieren, erklärt ausführlich deren Entstehung und Verarbeitung. Die Deutschen fragen nach Wasser und Kaffee und kriegen beides serviert, während ich ein paar weitere Gewürze einkaufe (einen Teil habe ich ja schon bei Ramses besorgt). Der Onkel erklärt uns, dass er das Öl in stabile Flaschen abfüllen könne, ab 125 ml, dann könnte man das zu Hause in die Glasflakons füllen und hätte schöne Gastgeschenke. Alle Öle kosten 30 Cents pro Gramm, wenn wir grössere Mengen kauften, gäbe es natürlich Rabatt.
Meine Mitreisenden blocken alles ab: Zu teuer, brauchen wir nicht, wollen wir nicht. Mir tut der Mann ein wenig leid: Er hat sich so viel Mühe gegeben, es ist klar, dass er hier kaum noch Kunden hat – und er kann ja schlecht die Ware anknabbern, mal abgesehen von den Gewürzen und vom Tee. Er geht mit dem Preis runter, wäre schliesslich sogar mit 15 Cent pro Gramm zufrieden, aber die Leute lehnen ab. Ich finde das etwas stark, denn sie haben nicht nur seinen Tee getrunken (was hier zur Gastfreundschaft gehört und tatsächlich noch keinen Kaufzwang darstellt), sondern haben zusätzlich noch Wasser und Kaffee bestellt, wie in einem Restaurant. Da wäre für mich ein Obulus schon angebracht gewesen …
Ich lasse mir meine Gewürze zusammenrechnen und akzeptiere den genannten Preis ohne Widerspruch. Ich vermute mal, dass ich ihn hätte runter märten können, aber ich fand den genannten Betrag nicht überrissen für das, was ich alles eingekauft hatte – und wenn, ist es für mich eher so direkte Entwicklungshilfe. Ausgewählt habe ich übrigens Kardamon, Sternanis, Zimt, Malven und Zitronennüsse, eine Art Muskatnuss mit Zitronengeschmack, die ich bis jetzt noch nie gesehen hatte. Ein paar von denen erhielt ich als Dankeschön noch oben drauf, und die besten Wünsche fürs 2016. Während der Sohn die Sachen für mich einpackte, erstand eine der Frauen immerhin noch zwei Glasfigürchen im Wert von knapp 5 Euro, die ebenfalls sorgfältig eingepackt wurden.
Während wir auf unseren Kleinbus warteten, beklagte sich der Deutsche bitterlich: Die 20 Euro für diesen Ausflug seien rausgeschmissenes Geld, da habe es ja gar nichts zu sehen gegeben, und dann diese Abzocke hier im Laden, es sei überall das Gleiche … Er jammerte, wie viel lieber er in Sharm el Sheikh wäre, wo er offenbar schon mehrmals Tauchferien gemacht hat, wohin aber zur Zeit keine Flüge angeboten würden, aus Sicherheitsgründen. Ich weiss nicht genau, was er von El Quseir erwartet hatte – offenbar hatte er sich im Voraus nicht über den Ort informiert. Und nein, das heute war kein Postkarten-Ausflug, da stimme ich zu. Und doch war ich für meinen Teil froh, dass ich diesen Ausflug machen durfte:
El Quseir ist eben gerade kein Retortenort wie Port Ghalib oder El Gouna, und auch nicht aufgebretzelt wie Sharm. Was wir heute gesehen haben, ist ein winziger Teil des realen Lebens der Ägypter, die von den politischen Unruhen und dem Rückgang des Tourismus arg gebeutelt worden sind. Was ich gesehen habe sind Gemälde und Kreidezeichnungen zwischen Trümmern und Bauruinen; Kinder, die lachend von der Schule kamen und uns auf Arabisch, Englisch und Deutsch gegrüsst haben; eine Mutter, die ihr Baby im Einkaufskorb auf dem Motorrad kutschierte; Halbwüchsige, die mit ihrem Motorrad grosse Anhänger fuhren, um Wasser zu den Läden und Häusern zu transportieren. Und was mich berührt hat sind Menschen, die uns angelacht und zugewinkt haben, die uns in ihre Läden und Kirchen eingeladen haben und uns, die wir so viel reicher sind als sie, beschenkt haben.
Und auch wenn ich es sonst nicht so mit den Zahlen habe: Wir waren zu 5., dh. die Leute haben brutto 100 Euro eingenommen. Davon musste der Kleinbus bzw. das Benzin bezahlt werden, der Fahrer, der uns hin- und zurück kutschierte, der junge Mann, der vor Ort die Führung auf Deutsch machte und wahrscheinlich eine Kommission an den Guide im Hotel, der das alles aufgegleist hat. Erscheint mir selbst für hiesige Verhältnisse nicht wirklich üppig …
So lässig, deine Reaktion. Ich denke so wie du. Die Anderen wären doch besser grad in D geblieben, dann hätten sie sich die Ausgaben für einen Ort ohne Gleichgesinnte doch auch sparen können!
Safe flight home!