Silvester
Der Tag beginnt kühler als sonst – der Himmel ist recht bewölkt. Doch als ich zu meinem Spaziergang aufbreche, ist die Temperatur ganz angenehm. Ich nehme meine Badesachen mit und ziehe die Wasserschuhe an. Damit mache ich mir allerdings zum zweiten Mal meine analoge Timeline kaputt: Die Sohlen dieser Schuhe sind so nichtssagend, dass ich quasi als anonymes Zweit-Account durchgehe …
Heute habe ich im Bicafé Mühe mit dem Internet, deshalb gebe ich relativ schnell auf und gehe weiter zum Strand. Dort treffe ich 2 Gäste aus dem Hotel, die jeweils mit dem Shuttlebus rüberfahren. So kann ich mich ausnahmsweise sogar eincremen lassen und habe erst noch Aufpasser für meine Tasche, während ich Schnorcheln gehe. Leider habe ich mein Brot im Hotel vergessen: Ich wollte doch die Fische anfüttern, damit ich sie mit der normalen Kamera fotografieren kann … Je nu, werde ich wohl nächstes Jahr machen!
Leider gibt es immer mehr Wolken, die Temperatur geht recht empfindlich runter. Also spaziere ich zurück zum Café und gönne mir ausnahmsweise ein Mittagessen. Schliesslich beginnt das Buffet heute Abend später als sonst, und ich habe nur wenig gefrühstückt. Zahlen möchte ich diesmal mit Ägyptischem Geld, denn ich habe endlich den Bancomaten gefunden. Geht aber nicht: Mein Kellner kann einmal mehr nicht rausgeben auf meinen 200-er – das sind umgerechnet etwa 18 Franken. 75 müsste ich bezahlen … Je nu, kriegt er halt noch einmal Euro. Zurück im Hotel will ich einen Schein an der Réception wechseln, aber auch hier brauchen sie 4 Anläufe, bis sie das hinkriegen. Das kann noch lustig werden: Der Bacomat hat nämlich nur solche rausgespuckt!
Ich dusche, trödle etwas rum und mache mich dann fertig für das Silvesterbuffet heute Abend. Auch wenn ich wohl auch diesen Jahreswechsel schliesslich verschlafen werde: Welch ein Unterschied zum letzten Jahr, wo ich frierend und gelangweilt auf Malta festsass! Denn trotz dem eher bescheidenen Anfang war 2015 alles in allem gut zu mir. Ich bin dankbar, wenn ich sehe, was ich alles geschafft habe; wie viel Unterstützung ich bekommen habe, wie viele Türen sich geöffnet haben. Und ich freue mich auf 2016!
Da in der Bar wieder geraucht wird, verzichte ich auf den Apéro und spaziere noch etwas rum – zum Draussensitzen ist es mir zu kühl. Ramses ergreift seine Chance: Jetzt hast du Zeit, komm, trink einen Tee bei mir. Also gut, aber nur kurz, ich will das Buffet fotografieren, bevor die Gäste ran gehen. Sein Laden ist schön dekoriert, der Hibiscustee schmeckt gut – aber seine Preise haben sich gewaschen! Du lieber Himmel: über 70 Franken für knapp 50 g Hibiskusblüten, vielleicht je 20 g Kurkuma und Zenzero und 2 Pack Tabacl für Fredys Shischapfeife. Hier märte sogar ich, und zwar heftig! Ramses ist dennoch zufrieden und will, dass ich ihm verspreche, dass ich vor der Abreise noch einmal bei ihm Tee trinken komme. Ich drücke mich – die restlichen Gewürze werde ich im Laden im Ort kaufen.
Noch darf ich nicht ans Buffet, um zu fotografieren, also plaudere ich noch etwas mit dem Händler, dem ich die Tasche abgekauft habe. Er erzählt mir, dass am Nachmittag eine Familie bei ihm ganz viele Souvenire gekauft hätte, die schon seit 10 Tagen hier gewesen war. Das ist gut!, freue ich mich für ihn, aber er schüttelt den Kopf: Offenbar haben die Leute bei ihm mehrmals Tee getrunken und sich umgesehen und immer gesagt, sie holten die ganzen Sachen dann ab, bevor sie abreisen. Was sie auch getan haben. Nur: Der Mann hatte nur 50 Ägyptische Pfund in der Badehose, sagte, er bringe den Rest, bevor sie um 6 abgeholt würden. Er hat ihnen vertraut – wie keine halbe Stunde vor mir auch Ramses: Er gab mit die Sachen auch mit, obschon ich erst Geld aus dem Zimmer holen musste. Nur: Ich habe meins gebracht, die Familie offenbar nich. Also ging der Händler kurz vor sechs zur Réception, wo die Leute sich jeweils versammeln, wenn sie abgeholt werden. Vielleicht haben sie ihn ja nur vergessen. Haben sie nicht: Sie sind um 15 Uhr abgeholt worden … Er tut mir leid, trotzdem kann ich bei ihm nichts anderes kaufen: Die Mädchen würden den Schmuck nicht tragen, die er ausgestellt hat. Aber er will kein Mitleid, sagt, er sei selber Schuld, er hätte ja die Tasche bei seich behalten könne, bis er das Geld gekriegt hätte. Aber wir arbeiten hier nicht so – ich vertraue den Menschen. Als ich vom Manager das Zeichen kriege, das ich fotografieren gehen kann, schenkt er mir noch ein Armband, das gut zu meinem Top passt – es soll mir 2016 Glück bringen, und ihm auch. Lieb!
Als ich ins Restaurant komme, muss ich erst einmal grinsen: Alle sind da, vom Chef bis zum Küchenburschen, und fotografieren ihr Werk. Und was sie da aufgebaut haben, ist wirklich der Hammer: Eine riesige Skulptur aus Krabben und Crevetten, eine andere aus Fleischstücken, eine dritte aus geräuchertem Fisch. Wunderbar dekorierte Platten, liebevoll arrangiert, dazwischen geschnitzte Früchte- und Gemüsedekos, Skulpturen aus Zucker, Schokolade oder Brot. Echt beeindruckend! Wie auch an den normalen Wochentagen überzeugen mich die Vorspeisen fast mehr als die Hauptgänge, aber auch hier ist die Auswahl heute gross: 8 oder 9 Wärmeschalen stehen drinnen im Restaurant, dazu kommt die Grill- und Pastastation, die heute ausnahmsweise draussen auf der Terrasse aufgebaut ist. Wie seinerzeit in El Gouna auch ist natürlich nichts gekühlt – ich vermute, ein Schweizer Lebensmittelkontrolleur würde bei diesem Aufbau die Kriese kriegen. Aber der Manager sagt recht gelassen und äusserst präzise voraus: Das wird nicht lange stehen!
Immerhin: Als die Gäste offiziell eintreten, bewundern alle erst das Buffet, fotografieren und schubsen einander herum. Keine/r traut sich als erste/r ran! Der Manager grinst mich an, drückt mir einen Teller in die Hand und sagt: Go ahead – see what will happen! Er hat natürlich recht: Kaum habe ich mich bedient, stürzen sich auch die anderen auf die Köstlichkeiten. Und dazu sind sie ja schliesslich da …
Mein Tisch steht an der Wand, so, wie ich meistens sitze – Amala hat das wunderbar gemacht. Aber dann kommen zwei Pärchen aus Frankreich, die eigentlich zusammen hätten sitzen wollen, aber deren Zweiertische stehen übers Eck, mit einem Vierertisch dazwischen. Ihr Kellner ist ratlos, sieht zwar das Problem, hat aber keine Lösung, denn alle Tische sind reserviert, das wurde einem ja x-Mal empfohlen, weil man sonst draussen werde sitzen müssen. Ich mische mich ein und schlage vor, dass ich mich an einen der von ihnen reservierten Tische setzen könnte, dann könnten sie meinen Tisch zum anderen reservierten Zweiertisch schieben. Problem gelöst! Alle helfen mir, meinen Teller, meine Gläser und meine Sachen zu zügeln, der Kellner schaut leicht verwirrt, bis er merkt, was wir vorhaben, dann strahlt er mich an: Nice Woman! – Frau tut, was sie kann …
Einer der Animateure verteilt als Samichlaus bunte Tüten, mit spitzen Hüten, Masken, Rasseln, Ballonen und Papierbällchen zum Schmeissen. Es wird sehr schnell sehr albern, und ich tue das, was ich in solchen Situationen am liebsten tue: Ich verkrümle mich!
Auf dem Zimmer schalt ich kurz den Fernseher ein, aber weder der Silvesterstadel noch die Schlagersendung auf dem zweiten deutschen Kanal vermögen mich zu begeistern – oder wach zu halten. Also gehe ich wie gewohnt schlafen, erwache kurz, als ein paar Böller losgehen, schlafe dann aber weiter. Happy New Year to me!