Der Tag beginnt recht früh – und neblig. Da wir in der Nacht eine Stunde gewonnen haben, sind kurz nach 7 schon erstaunlich viele Menschen unterwegs. Heute werden wir in der Bucht ankern und per Tenderboot an Land gebracht werden. Vorher müssen sich aber alle (auch diejenigen, die an Bord bleiben) bei den UK-Behörden registrieren. Das Ganze ist an sich gut durchorganisiert und im Bordmagazin ausführlich beschrieben – dennoch irren Dutzende kopflos durch die Gänge. Ich bin eine der ersten, welche ihren Sticker erhalten, und kann mich dann gemütlich bei einem zweiten Kaffee hinsetzen und dem Gewusel zusehen. Da ich einen Ausflug vorgebucht habe, ist auch mein Platz im 1. Tender gesichert, so dass ich völlig entspannt der Dinge harre, die da kommen sollten. Kurz nach 10 werden wir – ausnahmsweise durch die Wirtschaftsgänge der Crew, vorbei an Motivationspostern für die Angestellten – nach draussen geführt.
Das Wetter ist genau so, wie ich es von Schottland kenne: Man weiss nicht recht, ob die Wolken tief oder der Nebel hoch liegt, es nieselt – zu wenig, als dass man es Regen nennen könnte, zu stark, dass man ohne Wetterschutz rausgehen sollte. Jim, unser Guide, wird später sagen, dass es hier viel weniger regnet als an der Westküste Schottlands, you just picked the wrong day!
Wir ankern im Hafen von Lerwick, der Hauptstadt der Shetland-Inseln. Mit knapp 7000 Einwohnern ist sie die grösste Stadt; Quarff, die zweitgrösste, hat etwa 1000. Gesamthaft gesehen ist die Einwohnerzahl der 5 bewohnten Inseln seit Jahren stabil bei etwas über 23’000. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp einem Prozent – die meisten Jugendlichen, die studiert haben (in der Regel in Aberdeen, Edinburgh, Glasgow oder Inverness, da die schottischen Unis keine Einschreibegebühr kennen), kommen zurück und finden hier auch Arbeit. Etwa ein Drittel des Bruttosozialprodukts stammt aus dem Fischfang und der Zucht von Lachsen und Muscheln, erst an zweiter Stelle kommt die ÖL- und Gasindustrie. Hier wird zur Zeit aber wieder stark investiert – ein neues Gasterminal wird gebaut, die ArbeiterInnen hausen in 2 Floatels im Hafen, ein drittes wird gerade hochgeschleppt. Geplant ist auch ein rieisger Windpark mit 110 Turbinen. Die bereits bestehenden Windräder zählen weltweit zu den effizientesten: Sie laufen 53% der Zeit mit voller Auslastung. Die übrige Zeit sind sie in der Regel abgestellt – aber nicht, weil es zu wenig Wind hat, sondern zu viel! Der Wind ist hier ein grosses Thema: Das Klima ist dank des Golfstroms relativ mild, die Durchschnittstemperaturen betragen im Winter gemessen 3, im Sommer 14 Grad – gefühlt kann das aber viel kälter sein. De offizielle Windrekord liegt bei 124 Meilen pro Stunde, der inoffizielle bei über 200. Inoffiziell deswegen, weil dieser Sturm die Windmessgeräte wegriss …
Die gesamtem direkten Einnahmen aus Öl- und Gasgewinnung gehen hier in einen Fonds, von dem nur die Zinsen eingesetzt werden – für Jugendprojekte, Strassenbau, Förderungsmassnahmen, Kulturförderung, Altenpflege etc. Der Fonds ist mit 48 % am neuen Windpark beteiligt – damit soll die langfristige Finanzierung gesichert werden, das die Ölförderung rückläufig ist. Das Geld in den Strassenbau fliesst, mag man kaum glauben: Sie sind so eng und schmal, dass Yvonne, die Busfahrerin, ziemlich zirkeln muss – vor allem, weil die Bird Spotter ihre Autos einfach irgendwo abstellen, wenn sie einen speziellen Vogel gesehen haben. Derartige Twitchers sehen wie einige: Offenbar reisen die von Wales, Cornwall etc. an, sobald ihr Page ihnen mitteilt, dass gewisse Arten gesichtet wurden. Die Inseln liegen im Migrationsstrom und sind sehr artenreich.
Ich aber interessiere mich nicht für Vögel, sondern für Shetlandponys: Karins Pony sollte ja links vorm Tor, gleich bei der ersten Koppel au mich warten, damit ich es für sie mit heim bringen könnte. Und tatsächlich: Da war es auch! Leider konnte ich es dann doch nicht mitnehmen, obschon ich schon alles vorbereitet hatte. Jim informierte uns, dass das Lieblingsfutter von Jim nicht Gras, Heu oder Brot sei, sondern Finger … Davon hatte ich nicht genug, der arme Kerl wäre verhungert! (Ernsthaft: Die Viecher haben offenbar ein lausiges Temperament! Sie sind, wenn sie denn wollen, ausdauernde Arbeitstiere, sehr robust und widerstandsfähig, aber eben launischer als ein Maultier). Hübsche Fotosujets sind sie allemal!
In einer Bucht sehen wir zahlreiche Seehunde, aber da es regnet, gehen wir nicht runter zum Strand, sondern fahren weiter in der Norden der Insel, nach Hoswick. Hier könnten wir spazieren gehen, was ich aber nach kurzer Zeit abbreche. Stattdessen besuche ich das Visiters center mit seiner Sammlung von alten Radios und Telefonen (offenbar ein Hobby eines Bewohners). Hier gibt es auch altes Werkzeug der Weber und Korbflechter – und wunderbaren Tee mit selbst gemachten Scones, perfekt serviert im nostalgischen Porzellanset.
Diashow in kleiner Auflösung, ideal für mobile Nutzung
Die Shetland-Islands sind recht flach – auch wenn die Ausläufer der Caledonian Alps bis hierhin reichen – und völlig unbehandelt. Die Humusschicht ist selten dicker als 2 Meter, so dass hier nur wenig wächst. Der grösste Teil der Fläche wird für Schafzucht benutzt, wobei die älteste Rasse, die typischen Shetland-Schafe, die robustesten sind: Sie können das ganze Jahr über draussen sein und werden in der Regel solar während des Lammend draussen gelassen. Bis spätestens Ende September müssen die Lämmer aber verkauft werden, denn ab jetzt wächst das Gras nicht mehr. Die Vegetationsperiode ist hier extrem kurz, weile Bewohner haben deshalb Plastiktreibhäuser, um Gemüse zu ziehen. Im Sommer hat man hier 19 Stunden pro Tag Sonnenschein, 5 Stunden Dämmerung – aber jetzt sind die Tage bereits sehr kurz, im Winter wird die Sonne nur noch 5 Stunden pro Tag aufgehen. Deshalb machen die meisten Einwohner die grossen Ferien in den Monaten November bis März. Wer über 60 ist, erhält hier übrigens 2 Gratistickets für die Fähre nach Aberdeen … Ansonsten ist Reisen relativ teuer. va. per Flugzeug. Die Piste erinnert an unseren Belper Flughafen: Die Strasse führt quer über die Landebahn, wenn ein Flieger kommt, wird eine Barriere gesenkt. Der Flughafen kann nur bei Sicht angeflogen werden, deshalb kommt es immer wieder vor, dass Flieger nach Aberdeen zurückkehren müssen.
Wir aber können unsere Fahrt problemlos fortsetzen und erreichen Jarlshof – eine Ausgrabungsstätte, die ihren Namen Sir Walter Scott verdankt. Um 1840 hatte hier ein heftiger Sturm Sanddünen weggetragen, darunter kamen Ruinen hervor, die später nach und nach freigelegt wurden. Heute kann man hier auf keinem Raum eine Zeitreise machen – vom Neolithikum über Bronze- und Eisenzeit zur Einwanderung der Nordländer, zu den Stuarts und Bruces. Man vermutet, dass hier noch mehr liegt, aber die Ausgrabungen haben offenbar keine Priorität. Jim kennt seine Geschichte ganz offenbar und nimmt und mit auf eine Reise, die vor über 7500 Jahren beginnt. mit den ersten Jägern und Sammlern, die nach der Eiszeit hier wohl nur die Sommer verbrachten, zu einer Schmiede aus der Bronzezeit, in der zahlreiche Schmelzformen gefunden wurden. Was insofern erstaunlich ist, als es hier zwar Kupfer gibt, aber kein Zinn: Das höchste Zinnvorkommen liegt in Cornwall. Was heisst, dass diese Bewohner bereits Handel trieben und entweder Zinn einführten – oder fertige Bronzeprodukte, die sie dann umschmolzen.
Die Bauten aus dieser Zeit hatten nur knapp einen Meter hohe Steinmauern, der Rest sei aus Holz gewesen, vermutlich mit einem Torfdach. Das Holz stammte aber nicht von der Insel – auf Grund des sauren Bodens und der zu dünnen Humusschicht konnte hier auch damals kein Wald gedeihen. Es handelte sich um Schwemmholz, das offenbar in grossen Mengen zur Verfügung stand, wobei einiges sogar aus Kanada zu stammen schien. Bis zu 15 m hoch konnten die Brochs werden, die wieder etwas später erbaut wurden: Schutztürme, vermutet man, in denen das Vieh und die Bewohner sich längere Zeit aufhalten konnte, wenn Gefahr drohte. Auch hier fehlen natürlich schriftliche Zeugnisse, und die Experten sind sich uneins, was genau die Funktion bzw. die Bedrohung war – auffällig ist allenfalls, dass die Brochs in der Regel in Sichtweite zu einander standen, was auf eine Art Zusammenarbeit hindeutet.
Im nächsten Abschnitt finden wir eine völlig andere Architektur: Keine Rundbauten mehr, sondern Langhäuser. Diese Bauweise brachten die Nordländer mit, die erst als Piraten (Wikinger) herkamen, kurz danach aber als Siedler: Farmland im Heimatland der Nordländer war rar – die Farmen wurden zudem durch Erbteilung immer kleiner. Oft blieb den Söhnen keine andere Wahl als auszuwandern, wenn sie nicht verhungern wollten. Was genau geschah, als sie hier ankamen, weiss man nicht. Tatsache ist aber, dass hier auf der Insel keinerlei Überreste der piktischen Kultur zu finden sind, wie z.B. in Schottland, sondern dass alle Flur- und Ortsnamen auf nordische Bezeichnungen zurückgehen. Hier wurde auch nie Gälisch gesprochen, sondern Norse. Man vermutet, dass ein Grossteil der Einheimischen versklavt wurden, aber sicher weiss man das nicht (Dublin war der grösste Sklavenmarkt der Nordländer). Die grösste Ruine stammt aus der Zeit von Mary, Queen of Scots. Ein gewisser Patrick Stuart soll hier so übel gehaust haben, dass seine Pächter irgendwann an den König geschrieben haben, der Kerl blute sie aus. Dieser schickte seine Inspektoren aus, die aber von Patricks Sohn attackiert wurden. Worauf beide, Vater und Sohn, wegen Hochverrats verhaftet wurde. Der Sohn wurde gehängt, der Vater sollte – auf Grund seiner entfernten Verwandtschaft mit dem Königshaus – geköpft werden. Die Vollstreckung musste allerdings um 7 Tage aufgeschoben werden, weil der gute Patrick sein Vaterunser nicht auswendig konnte. Und solo unzivilisiert war man ja nicht, dass man seine Seele opfern konnte … (Als ehemalige Nachhilfelehrerin frage ich mich ja schon, wie man Patrick zum Lernen motivierte?)
Nach dieser erbaulichen Geschichte kehrten wir – natürlich durch den Souvenirshop – ins Hier und Jetzt zurück. Der Bus brachte uns zurück ins Stadtzentrum, wo ich etliche Crewmitglieder selig lächelnd bei Chips and Fish vorfand. Mich aber zog es einige Häuser weiter in die Fudle Company – das Paradies der Nidletäfeli in allen Varianten. Nach einem kurzen Spaziergang setzte ich dann wieder auf die Norwegian Star über und gönnte mir ein spätes Mittagessen (mittlerweile war es kurz vor 15 Uhr): Fleischsuppe, Roastbeef und Gemüse. Sehr lecker!
Anschliessend verzog ich mich wieder ins Spa – aber nur kurz: Heute hatte es mir da zu viele Leute! Also besuchte ich Antoine auf Deck 13. Der freundliche Kellner aus St. Lucia versorgt nicht mit Cappuccino, während ich den Blog schreibe.