Nachdem mein Vater letztes Jahr mit meiner Schwester in Kreta war, durfte dieses Jahr ich von einer gemeinsamen Frühlingsreise profitieren. Bereits letzten Herbst hatten wir uns auf eine Flusskreuzfahrt geeinigt, und ich kam in den Genuss von Daddy Rundumsorglospaket:
Er hat alles geplant und gebucht, inklusive Ausflüge, ideale Anreise via Zürich-Flughafen und Zubringerbus nach Baden-Rütihof – und irgendwie hat er es auch geschafft, das absolut perfekte Reisewetter zu organisieren. Obschon mir am Tag vorher noch die Biese um die Ohren pfiff, genossen wir nur noch Sonnenschein, blauen Himmel und angenehme Temperaturen. Herrlich!
Kurz nach 15 Uhr erreichten wir am 2. April die Excellence Queen, ein Schiff der Twerenbold-Gruppe. Unsere Kurzreise sollte uns in die Pfalz und ins Elsass führen, und damit knapp am Standort des Karlsruher-Büros von Unic vorbei …
Wir bezogen unsere kleinen, aber gut eingerichteten Kabinen im Hauptdeck, mit Oberfenstern, durch die man mit etwas “zäjele” aufs Wasser schauen konnte. Wir beide schoben jeweils nachts die Vorhänge beiseite, die der Steward hartnäckig immer wieder schloss: So konnten wir an Decke und Wände das Schattenspiel von Ufer und Wasser sehen und wurden am Morgen vom Licht geweckt.
Natürlich besichtigten wir danach erst einmal ausgiebig unser Zuhause auf Zeit und genossen den Beginn der gemütlichen Fahrt, die uns, vorbei an malerischen Landschaften und einigen Industriegebieten führen sollte, wobei wir die unterschiedlichsten Schleusenarten kennenlernten. Kleinere, in denen wir allein standen, grössere, wo vier Schiffe Platz finden, solche mit Schiebetoren, Schwenk- oder Hubtoren. Faszinierend! Und umweltschonend:
Die Staustufen generieren Strom, und die Schleusen mit Doppelkammern nutzen den Wasserdruck der aufwärts- bzw. abwärts reisenden Schiffe als Gegengewicht. «Wie das Marzilibähnli …», wie Daddy richtig bemerkte.
Was ich erst zu Hause gelesen haben:
Eigentlich sind wir die meiste Zeit gar nicht auf dem Rhein gefahren sind, sondern auf dem Rhein-Seitenkanal. Und die ganzen Kieswerke, die wir gesehen haben, dienen nicht nur dem Abbau, sondern sind teilweise so sisyphus-mässig zu verstehen:
«Aufgrund des Baus der Staustufen an Hoch- und Oberrhein wird beim Rhein der natürliche Geschiebetransport unterbrochen. Erst unterhalb der letzten Staustufe bei Iffezheim ist er wieder ein frei fließender Fluss. Durch die Barrierewirkung der Staustufen fehlt es dem Rhein an Geschiebematerial von Oberstrom und er versucht das Geschiebe aus dem Gewässerbett zu gewinnen. Da das Ufer befestigt ist, erodiert ausschließlich die Sohle. (…)
Um die Sohlerosion und die damit verbundenen negativen Auswirkungen zu verhindern, wird unterhalb der letzten Staustufe seit dem Jahr 1978 das Geschiebe künstlich zugegeben. Dabei entspricht die Zusammensetzung des Geschiebeersatzmaterials der natürlichen Rheinsohle im Bereich der Staustufe Iffezheim.» (Quelle)
Ein Begrüssungsapéro und ein feines Znacht schlossen den ersten Tag ab. Das Bett war bequem, der Motorenlärm unterschiedlich hörbar, aber nicht extrem, die Vibrationen eher schwach – und Wellen spürt man auf dem Fluss ja leider keine. Ich mag es nämlich eigentlich, in den Schlaf gewiegt zu werden …
Daddy hatte sich Frühstück um halb neun gewünscht, aber da die Sonne schon einiges früher durch mein Oberfenster linste, schnappte ich mir meinen Kaffeebecher, füllte den hinten auf Deck drei auf und ging dann an Deck, die Sonne und den Tag begrüssen. So bekam ich erst gar nicht mit, dass auch Daddy früher auf den Beinen war. Für die Folgetage stellten wir dann auf halb acht um.
Die Vormittage waren wir jeweils geruhsam unterwegs, die Nachmittage gingen wir auf Erkundigungstour, abends fein essen – und dann schlafen, denn weder Daddy noch ich hatten Lust auf Bar oder Musik.
Ausflug Speyer
Daddy hatte für uns einen Stadtbummel mit Dombesichtigung gebucht, und bei beidem hatten wir sensationelle Guides, welche ihr Wissen frisch und bildhaft weitergaben – etwas, was mich immer speziell freut, denn selbstverständlich ist es nicht, wenn du jahrelang mehrmals pro Woche die gleichen Touren abspulst.
So erfuhren wir viel Interessantes rund um den weltweit grössten romanischen Dom, der zum Unesco-Weltkulturerbe zählt (weltweit übrigens mit einem Augenzwinkern, denn die Romantik gab es ja in diesem Sinn nur in Europa …).
Was mich beeindruckte, aber auch belustigte:
Nach dem Brand im Dachstuhl von Notre-Dame in Paris hatte die Diazöse sich Sorgen gemacht um ihren Bau, denn hier ist über 500 Jahre altes Holz verbaut. Sie haben eine Flutungseinlage einbauen lassen, mit der im Notfall der Dachstuhl unter Wasser gesetzt werden könnte. Was mich unwillkürlich an das berühmte Zitat von Karl Kraus erinnerte:
Ein Blitzableiter auf einem Kirchturm ist das denkbar stärkste Misstrauensvotum gegen den lieben Gott.“
Dürfte hier ja wohl auch gelten. Scheint mir trotzdem sehr sinnvoll, denn das Bauwerk ist wirklich wunderschön – und überraschend schlicht: Bei der letzten Renovation wurde das meiste nachträglich eingebaute oder mit Fresken Verzierte in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Wo Neues nötig wurde – wie zum Beispiel beim Chorgestühl – wurde dieses mit Rücksicht auf die majestätische Bausubstanz bewusst schlicht gehalten. Mehr zu diesem imposanten Bauwerk findet sich hier: Dom zu Speyer oder auch in einem früheren Blogpost von mir: Speyer
Mit dem zweiten Führer ging es dann vor dem Dom zuerst zum Domnapf, der leider leer war – zu besonderen Anlässen aber mit gut 1500 Litern bestem regionalen Wein gefüllt wird. Das nächste Mal vermutlich 2030, zum Dom-Jubiläum.
Die Maximilianstrasse – Prachts- und Einkaufsstrasse – war an diesem wunderbar sonnigen Tag gut besucht, aber wir flanierten zuerst durch hübsche Seitensträsschen und lernten einiges über die reiche Geschichte der Stadt Speyer, gerade auch im Bereich der Religionen.
Da verwunderte es mich nachträglich nur wenig, dass ich den Hinweis auf das lustige Ampelmännchen als Beelzebub verstanden hatte. Was natürlich nicht stimmt: Es ist der «Brezelbu», behaupten doch die Speyrer (zusammen mit über 60 weiteren Orten, dass hier die Brezel erfunden worden sei.
Auf dem Programm stand danach die evangelische Dreifaltigkeitskirche, wobei das Innere eher nach katholischem Prink aussieht, gerade auch im Gegensatz zur Schlichtheit des katholischen Doms. So viele Barockengelchen auf engstem Raum habe ich noch selten gesehen!
Die Erklärung berührt:
Menschen, die 1669 bei der französischen Stadt-Brandschatzung geflüchtet waren, hatten in Frankfurt bei der Katharinenkirche Unterschlupf und Unterstützung gefunden. Als sie zurückkehren konnten, bauten die Bürger eine Kopie dieser Kirche auf, als Versammlungsort und Gemeinschaftsraum. Und obschon die 1600 Plätze wohl kaum häufig besetzt sind, scheint der Gemeinschaftssinn immer noch gross zu sein: Gerade haben die Mitglieder eine Sammlung zur Beschaffung einer neuen Orgel erfolgreich abgeschlossen, nachdem das Vorgängermodell von 1929 wegen derer maroden Verkabelung nicht mehr zugelassen wa.
Nach der Führung gönnten wir uns einen wohlverdienten Kaffee und ein Stück Apfelkuchen, bevor wir zurück zum Schiff spazierten.
Mein Oura notierte für diesen Tag übrigens 16’543 Schritte. Für mich eine gute Leistung – für meinen knapp 90-jährigen Paps definitiv beeindruckend, selbst wenn ich ihn schon als Kind scherzhaft eine personifizierte Wanderniere nannte 🙂
Ausflug Colmar
Auf diesen Tag hatte ich mich ganz besonders gefreut, denn dieses Städtchen kannte ich bisher nur von Bildern aus meiner früheren Zeit als Redaktorin bei Airtours Suisse und Kuoni. Auch hier hatten wir eine ausgesprochen charmante Reiseleiterin: Angela, eboren in Mexiko, als Tochter einer Chinesin und eines Deutschen, aufgewachsen in Frankfurt und jetzt seit etlichen Jahren begeistert im Elsass.
Die kurze Zeit, die wir hier verbrachten, reicht bei weitem nicht, um Colmar wirklich zu erfassen. Vor lauter Fotosujets wusste ich kaum, wo ich hinschauen sollte. Die Architektur – insbesondere die bekannten Fachwerkhäuser – faszinierten mich, aber auch die alten Schilder. Solche fotografiere ich zwar immer wieder, aber erst durch Angela wurde mir bewusst, dass die nicht einfach dekorativ sind, sondern in früheren Zeiten der meist analphabetischen Bevölkerung halfen, das Benötigte zu finden.
Was ich vorher auch nicht wusste:
Die Freiheitsstatue, welche die Franzosen ja aktuell nicht nur im Scherz zurückfordern, hat hier ihren Ursprung: Auguste Bartholdi, ein Sohn der Stadt, hatte die entworfen. Für den Bau zuständig war da Gustave Eiffel.
Und wenn wir schon beim Name-Dropping sind:
Herzog und de Meuron haben hier auch ihre Spuren hinterlassen: Das alte Schwimmbad, das von aussen aussieht wie ein Rathaus, hatten sie zu einem Teil eines Museums umgebaut: Ergänzt mit einem Neubau und verbunden mit einer ehemaligen Kirche bildet es das Museum Unterlinden.
Zur Ergänzung meiner eigenen Eindrücke hier ein Video ab YouTube:
Super! Da kommt einem die ganze Wanderung wieder in den Sinn (und vielleicht auch in die Knochen)
Daddy