Was tun, wenn im Zug jemand ausflippt?

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Heute fuhr ich per S-Bahn nach Zürich. In Oerlikon flippte eine Frau plötzlich völlig aus: Offenbar hätte sie aussteigen sollte, hatte aber zu spät realisiert, dass sie schon am Ziel war, und als sie den Knopf drückte, ging die Tür nicht mehr auf. Also beschimpfte sie zuerst die Türe, dann die SBB und schliesslich ihre Tochter, ein ca. 13 Jahre alter Teenie. Ich sass mehrere Abteile von der Türe weg, aber sie war so laut, dass wir alle jedes Wort mitbekamen. Die Beschimpfungen steigerten sich immer mehr – von «Warum hast du nicht gesagt, dass wir das sind?» über «Du hättest ja auch drücken können!» zu den beliebten «Immer muss ich …», «Nie machst du …» und Anfällen von Selbstmitleid: «Keiner hilft mir …». Die Zugpassagiere sahen engagiert zum Fenster raus, sanken noch tiefer hinter ihre Zeitungen oder warfen verstohlene Blicke nach hinten, aber niemand schritt ein, obschon das Mädchen sichtlich um Fassung rang – und die Mutter immer stärker keifte.

Ich hielt diese Anfeindungen und Verletzungen vor all den Leuten nicht mehr aus, stand auf, kramte mein Handy hervor, trat gezielt zwischen Mutter und Tochter und fragte sie: «Möchten Sie jemanden informieren, dass Sie etwas später kommen?» Immerhin stoppte das den Wutausbruch, nicht aber das Selbstmitleid: «Wir schaffen das nie! … Sie muss doch um 11 Uhr da sein … Danach wieder zurück in die Schule …» Ich wies darauf hin, dass von Harbdrücke aus sehr häufig Züge nach Oerlikon fahren, dass die Verspätung wenn überhaupt nur wenige Minuten betragen würde, da mischte sich ein junger Mann ein, das Handy in der Hand: «Sie haben 52 einen Zug zurück, direkt gegenüber, auf Gleis 2. Dann sind sie maximal 6 Minuten später, als wenn Sie direkt in Oerlikon ausgestiegen wären.» Ich hätte ihn umarmen mögen! Da die Gute immer noch ausser sich und die Tochter verschüchtert war, begleitete er sie sogar raus, zur Tür des wartenden Zuges und stieg dann blitzschnell wieder ein, um mit uns weiter nach Zürich zu fahren. Seine Aktion hat mich sehr gefreut, dennoch blieb ein schaler Nachgeschmack:

Wie kann es sein, dass in einem vollen Zug niemand reagiert, wenn eine Tochter von ihrer Mutter so runtergeputzt wird? Wo bleibt die viel gerühmte Zivilcourage?

Wie hättet ihr reagiert?