AidaVita 2019 – Tag 7

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Belfast

Wie gestern angetönt, machte ich heute morgen auf faul: Statt zu meiner gewohnten Zeit aufzustehen, ging ich nur kurz für kleine Mädchen – und dann wieder ins Bett. Und war deswegen auch erst nach Acht an Deck. Das reichte, um in aller Ruhe zu frühstücken, bevor wir in Belfast einliefen. Was mich freute: Als ich nach einem freien Plätzchen Ausschau hielt, bat mich ein Ehepaar aus Leipzig an ihren Tisch – mit ihnen hatte ich am zweiten Tag schon mal beim Nachtessen einen Tisch geteilt. Er lachte mich an und fragte: «Könnten Sie sich nicht zu uns setzen? Sie wissen so viel – ich unterhalte mich gerne mit Ihnen». Entsprechend angeregt war die Unterhaltung, wobei ich auch viel über ihr Leben zu DDR-Zeiten erfuhr, und was sich für sie geändert hat, seit dem Mauerfall. Solche Begegnungen sind es unter anderem, die für mich den Reiz von Kreuzfahrten ausmachen. Und gerade wenn ich, was ja meistens der Fall ist, alleine unterwegs bin, komme ich sehr leicht mit Menschen ins Gespräch.

Kurz vor dem Einlaufen erhielt ich den Link zu den Hochzeitsfotos von Helmut und Jiwon, deren Hochzeit ja unglücklicherweise wegen der Visageschichte recht kurzfristig angesetzt werden musste, sodass ich als Trauzeugin ausfiel. Mein Geschenk, die Hochzeitsfotografin, schickte mir aber bereits gestern ein erstes Foto, und heute den Link zu den noch unbearbeiteten Fotos. Ich war total gerührt: Obschon Stephanie das Brautpaar vorher nicht kannte, hat sie mit ihren Bildern die Seele der beiden eingefangen.  Ich war ganz gerührt – und musste dann über mich selber schmunzeln, als ich bei der Einfahrt in den Hafen als Erstes das hier sah:

Für heute hatte ich mir eine Fahrt aufs Land ausgesucht.

Wir besuchen auf dieser Reise ja reichlich Städte und ich werde Morgen natürlich Dublin besuchen, aber irgendwie brauchte ich eine Pause. Und da selbst Einheimische Belfast nicht wirklich als schöne Stadt bezeichnen (auch wenn sich in den letzten Jahren einiges verbessert haben soll), fand ich es passend, hier eher die irische Landschaft zu geniessen.

Falls sich jemand dafür interessiert, was es da zu sehen gegeben hätte: Das Titanic Museum, Vieles rund um Games of Throne, das zu grossen Teilen hier gedreht worden war und mehr:

https://visitbelfast.com

Wir fuhren am Mittag vom Quai weg, in einem nagelnagelneuen Bus, mit WLAN und USB-Stecker bei den Sitzen, zum Aufladen des Handys. Allerdings schien das Teil Hügel nicht zu mögen: Mehrmals gab es komische Geräusche von sich, die minutenlang anhielten, Jennifer, die Reiseleiterin, zur Verzweiflung brachten und Paddy, den Fahrer, ins Schwitzen: Er fuhr den Bus zum ersten Mal und fand nicht heraus, wie er das komische Warnsignal (oder was immer das war) ausschalten konnte. Ich hatte Glück: ich war beim Ausschiffen in einen Stau geraten, weil Leute vom Schiff RollstuhlfahrerInnen jeweils zu Viert die schmale Gangway runter trugen (übrigens sehr respektvoll und liebenswürdig), und musste deswegen recht weit hinten sitzen. Da hörte man das offenbar nervige Geräusch nicht, nur die verzweifelten Versuche von Jennifer, das Ganze zu überspielen.

Wir fuhren recht schnell aus der Stadt heraus, Richtung North Canal. Von daher hätte man, bei guter Sicht, rüber zum Mull of Kintyre und nach Ayr sehen können sollen, wo ich seinerzeit gelebt und jeweils nach Irland rüber geschaut hatte. War aber nichts: Am Mittag war es dafür noch viel zu trüb. 

Die Fahrt führte uns der Küste entlang, auf einer Strasse, welche die Engländer ursprünglich gebaut hatten, um den Schmuggel zu unterbinden. So konnten sie die abgelegenen Siedlungen besser kontrollieren …

Ja, die Geschichte zwischen den Engländern und den Iren war immer schon recht kompliziert. Wie die Referentin auf dem Schiff auch, wies Jennifer immer wieder darauf hin, dass es nicht um Religion ging, bei diesen Auseinandersetzungen, sondern um Machtgefälle und Machtmissbrauch. Die Engländer, die zufällig reformiert waren, kamen nach Irland, wo ihnen Ländereien zum Lohn geschenkt oder billig überlassen wurde, und benutzten die Arbeitskraft der Iren, die zufällig katholisch waren, um ihren Reichtum zu mehren. Sie waren sehr, bald in der Mehrheit und konnten deswegen die Einheimischen überstimmen – erst recht, weil sie Gesetze erliessen, wonach nur jene wahl- und stimmberechtigt waren, die ein eigenes Haus besassen. Und das waren eben vorwiegend Engländer. Diese machten entweder keine Geschäfte mit den Iren oder beuteten diese aus, wie der berüchtigte Graf Boycott, der mit seinem Verhalten Proteste provozierte – und dem die Sprache das Wort boykottieren verdankt:

https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Cunningham_Boycott

Die beiden Bevölkerungsgruppen drifteten immer mehr auseinander, bis die 26 südlichen Grafschaften die Unabhängigkeit suchten – die restlichen aber die  mehrheitlich von Engländern bewohnt und beherrscht wurden, die Union mit England, Schottland und Wales suchten. So gab es, neben der Religion, ein weiteres trennendes Merkmal: Nationalisten (oder Republikaner) und Unionisten (oder Loyalisten) standen sich erst friedlich, später kriegerisch gegenüber. 

http://www.geschichte-in-5.de/index.php/11-britische-inseln/91-der-irische-unabhaengigkeitskrieg

Extremisten auf beiden Seiten sorgten dafür, dass das Land über Jahrzehnte nicht zur Ruhe kam – ohne dass über die Ursachen geredet worden wäre. Jennifer erzählte aus ihrer Kindheit und Schulzeit: Irische Geschichte oder Kultur wurde nicht gelehrt, nur englische. In den Nachrichten gab es zwar Berichte über IRA und Ulster Defence Army, aber darüber gesprochen wurde nie. Fuhr man zu Verwandten nach Dublin, gab es rigorose Kontrollen an der Grenze, durch Soldaten und Polizisten. All das ist seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 vorbei. Oder besser gesagt: War es. Denn mit dem Brexit kam die Angst vor einer neuen, harten Grenze. 56 Prozent der Iren hatten gegen den Brexit gestimmt, und einmal mehr wurden sie von den Engländern und Walisern überstimmt. Auch im Gespräch mit anderen Iren spürt man diese Unsicherheit und die Angst, der Terror könne wieder losgehen. Über 3600 Tote habe es in dieser Zeit gegeben, seit Jahren war jetzt Ruhe, aber kürzlich ist eine Journalistin von der sogenannten New IRA erschossen worden. Zwar haben sich alle Parteien geschlossen gegen diese ruchlose Tat ausgesprochen, die New IRA habe sich entschuldigt – aber die Unsicherheit bleibt:

https://www.merkur.de/politik/nordirland-getoetete-journalistin-wird-beigesetzt-new-ira-bittet-um-entschuldigung-zr-12205624.html

Aber genug zur Politik, schliesslich wollte Jennifer uns ein Teil der wunderbaren Landschaft zeigen. Irland stammt ursprünglich direkt vom Äquator und ist eigentlich vulkanischen Ursprungs, was wir später an der Küste gut sehen konnte, wo Kalkstein und Basalten nebeneinander liegen. Durch die tektonische Verschiebung bewegte sich die Platte vom Äquator weg.  Die heutige Landschaft wurde während der Eiszeit durch 9 Gletscher geformt, die ebenso viele Täler hinterliessen. Bei der ersten Besiedelung war die Insel völlig von Bäumen bedeckt. Im 19 Jahrhundert waren es dann knapp noch ein Prozent der Fläche, weil die Engländer riesigen Holzbedarf hatten, für ihre Schiffe, die Bauten, den Export. Später forstete man wieder auf, schnell wachsende Fichten. Erst seit relativ kurzer Zeit werden vermehr wieder einheimische Bäume angepflanzt: Eichen, Eschen, Birken … Letztere haben mir übrigens einen leichten Allergieschub beschert, da ich natürlich ohne Maske unterwegs war, aber zum Glück Antihistamin genommen hatte …

Ziel unserer Reise war eben ein Forest Park, ein wunderschöner Wald mit Wasserfällen, die wir aber nicht sahen, weil die Wanderung dorthin etwa zwei Stunden gedauert hätte, unser Aufenthalt aber kürzer war. Dafür gab Cherry Scones und Tea und einen kurzen Spaziergang zu diversen View Points. Und falls ich je daran gezweifelt hätte, dass Irland den Namen Grüne Insel verdient – heute wären diese zerstreut worden. Daran können auch die Blue Bells oder der Ginster nichts ändern …

Die Rückfahrt führte durchs Landesinnere und über die Ausläufer der Stadt Belfast zurück zum Hafen. Ich genoss eine ruhige Stunde an der Sonne auf Deck 10, bevor ich anfing, die Fotos zu bearbeiten. Nach einem feinen Lachs zum Znacht zog ich mich auf die Kabine zurück – ich hatte heute keine Lust mehr auf Gesellschaft.

Nur die Fotos vom Ocean Shooting holte ich noch ab. An sich bestelle ich hier Fotos nur digital, die werde ich am letzten Seetag auf einem Stick erhalten. Aber die Porträts sind so toll geworden, da habe ich auch ein paar Abzüge bestellt – und für euch abfotografiert. Originale folgen später.

Ach ja: Eine kleine Überraschung erwartete mich auf meiner Kabine auch noch. Ich war heute Morgen an der Réception und hatte gefragt, ob ich auf hohem Niveau meckern dürfe. Denn obschon der gestrige Whisky Workshop nicht schlecht war, war er nicht das, was ich erwartet hatte: Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass wir (für mich neue) Irische Whiskeys testen würde, nicht die gleichen Klassiker, die es überall gibt – mit Ausnahme des Bourbon, der war auch für mich neu, nur bin ich eben kein Fan von Mais-Whiskey … Ich erklärte ihr ausdrücklich, dass Gabriel seine Sache sehr gut gemacht habe, dass ich aber eben andere Erwartungen gehabt habe, und mindestens sechs der anderen Teilnehmenden auch, und dass man vielleicht die Ausschreibung entsprechend präzisieren sollte. Ich finde die Reaktion sehr sympathisch.

Ein Gedanke zu „AidaVita 2019 – Tag 7“

  1. Grüne Insel – eigentlich schon lange ein Traum von mir.
    Leider sind Religionskriege immer Machtkämpfe und ich verstehe nicht, warum Menschen nicht einfach andere Meinungen und Glaubensrichtungen akzeptieren können und friedlich miteinander leben.

    Daddy

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