50 Shades of Green
Kurz nach 7 sind wir heute in Santa Cruz de la Palma eingelaufen. Ich war wieder früh an Deck und habe das Einlaufen und den Sonnenaufgang geniessen dürfen, mit einem kurzen Schwatz mit Rosetta, bevor ich mich um Acht Richtung Ausflugsbus bewegte. Wir hatten einen 50er Bus für 24 Personen, was natürlich sehr angenehm war. Und zum Glück wieder einen motivierten und engagierten Reiseleiter, Jan aus Antwerpen, der aber schon seit einiger Zeit hier auf der Insel lebt und ganz offensichtlich ein grosser, wenn nicht sogar ihr grösster Fan ist.
Der Hafen von La Palma liegt bei Santa Cruz di la Palma, vor einem Krater, der schon den Spaniern als Schutz diente, auf der älteren Seite der Insel. Diese wuchs erst mal 4 Millionen Jahre unter Wasser, bevor sie vor knapp 2 Millionen zur Insel wurde. Diese Seite der Insel ist äusserst fruchtbar, auch wenn in den letzten 5 Jahren immer weniger Regen fiel und sich die Einheimischen echte Sorgen machen: Seit letztem Dezember hatten sie nur 10 Tage Niederschläge. Für Wasser sorgen praktisch nur die Passatwinde, welche die Wolken gegen die Berge drücken, wo die Kanarischen Kiefern das Wasser kondensieren lassen. Gemäss Experten liefert so eine Kiefer pro Jahr 5000 Liter Wasser mehr, als sie selber benötigt.
Als die katalanischen Händler seinerzeit die Rechte kaufen, die Insel zu nutzen, fanden sie hier zwar nicht die erwarteten Schätze vor, aber ein Klima, das sich bestens eignete, um den in Europa erst kürzlich bekannten Zucker und Tabak anzubauen – und beides liess sich mit hohen Gewinnen verkaufen. Nach der Zuckerkrise kamen Wein und Bananen – beides wird heute noch angebaut, wenn auch v.a. für den innerspanischen verbrauch (das hatten wir auf La Gomera ja schon gehört): Die EU hat das Bananenmonopol und erlaubt den Kanaren kaum Export, wobei diese gegen die „Dollarbananen“ von Chikita und Co ohnehin keine Chancen hätten: Die Produktion ist hier nicht unter 2 Euro pro Kilo möglich. Von Tabak leben nur noch etwas 20 Familien, gegenüber 1000 zur Blütezeit, was schade ist, weil gemäss Jan der hiesige Tabak massiv besser sei als der kubanische.
Unsere Fahrt führt sehr schnell in die Höhe, vorbei an riesigen Bananenfeldern, durch zerklüftete Schluchten, vorbei (aber nicht über) die längste und teuerste Brücke der Kanaren, hinauf nach La Sauces, zu den Lorbeerewälder und der grössten Quelle der Insel. Pablo, unser Busführer, ist offenbar ohne Nerven geboren und navigiert den Bus sicher durch engste Strassen, meistert auch das fast rechtwinklige Einfädeln auf zwei ausgesprochen enge Brücken bravourös, was Jan mit den Worten quittierte: Pablo hat wieder die Kurve gekratzt. Und keine Angst, wenn die Brücke einstürzt: Der Bus ist länger als die Schlucht breit, wir bleiben mit etwas Glück hängen …
Ein kurzer Spaziergang brachte uns in den Regenwald, wo Jan uns die unterschiedlichen Lorbeerarten erklärte, und erzählte, wieso aus Stinklorbeer keine Löffel geschnitzt werden und wie der Managony-Lorbeer zu seinem Namen kam: Gewitzte Händler auf der Insel liessen sich von den ankommenden Schiffen mit Mahagoni bezahlen, aber weil die Anzahl Stämme im Logbuch vermerkt waren, ersetzten sie die bezogenen Stämme durch den ähnlich roten Lorbeer.
Das Wasser wird hier übrigens ähnlich gefasst wie bei uns im Wallis, in Kanalen, die in den Felsen gehauen sind, und kleineren und grösseren Auffangecken. Näher beim Meer verlaufen diese leicht aufwärts, damit ja kein Süsswasser ungenutzt ins Meer gelangt. Es fliesst zurück in die Auffangbecken und kann bei Bedarf auf die Felder geleitet werden.
Weiter ging’s ins Zentrum des Bananenanbaus, wo wir mehr über die ungeschlechtliche Vermehrung der Bananen erfuhren – und wieso das ein Problem ist: Die Bananen wachsen in Dreiergruppe, Oma, Mutter und Tochter. Sobald eine Banane Frucht getragen hat, wird sie geköpft und stirb ab, während die nächste Generation bereits heranwächst. Eine Entwicklung ist ohne neue Gene naturgemäss nicht möglich – und da die Bananenschädlinge sich ständig weiter entwickeln, fürchten die Experten, dass die Bananen in 30, 40 Jahren aussterben könnten.
Kaffeepause gabs bei Flora, einer Tante-Emma-Kneipe in einer umgebauten Garage, bei einem schönen Aussichtspunkt. Flora ist zwar schon über 70, aber dirigiert ihr Personal (vermutlich Familienangehörige) nur mit Blicken – und der Barraquito schmeckte wunderbar.
Nun gab’s eine längere Busfahrt, zur Kirche der heiligen Jungfrau des Schnees: Die Holzstatue wurde vor Jahrhunderten von einem Bischof in den Süden gebracht, als der Vulkan während drei Monaten tonnenweise Asche ausspie und sich trotz aller Gebete nicht besänftigen liess. Die Gläubigen reisten in den Norden und zwangen den Bischof zu einer Prozession, zu der er eben besagte Statue mitnahm. Und er hatte Glück: Kaum waren sie im Süden angekommen stoppte der Ausbruch, und in den Bergen fiel, zum ersten und einzigen Mal, Schnee. Die Madonna kriegte eine Kirche, wurde von Seefahrern und allen möglichen Reisenden immer wieder um Wunder angefleht und war offenbar recht erfolgreich: Die Kirche wurde immer wieder reich beschenkt, nur ein Teil der Pracht ist sichtbar, viele Schätze ruhen offenbar in einem Museum der Kirche. Die Stimmung da drin war aber tatsächlich sehr schön: Der Padre und eine Helferin waren gerade dabei, die Vorbereitungen zum Weihnachtsfest zu vollenden, es lief wunderschöne Musik, und wenn man eine Münze in den Kerzenautomat warf, entzündete sich pro 20 Cents eine LED-Kerze 🙂
Mittagessen gab’s in einem gemütlichen Restaurant, kurz nach 12 – zu einer für Einheimische unmöglich frühen Zeit – am langen Tisch, wie bei uns Mittwochs in der Waag: Ziegenkäse, Mojito, Brot, Wasser und Wein standen schon auf dem Tisch, die Suppe wurde in Schüsseln dazu gestellt, der Hauptgang, bestehend aus einem Pouletbein Schweinebraten, Salat und Schrumpelkartoffeln wurde servier, zum Dessert gab’s Bananen und Kaffee in Selbstbedienung. War fein und gemütlich, und ich habe mich bestens mit meinen TischnachbarInnen unterhalten.
Nun gab’s eine Siesta-Busfahrt von 45 Minuten Richtung Süden, wobei die echte Siesta hier mit Hilfe eines Kaffeelöffels gemessen würde: Den nimmt man mit aufs Sofa, und wenn er zu Boden fällt, ist die Siesta vorbei.
Hier besichtigten wir den Vulkankrater, probierten aus, wie sich ein Erdbeben anfühlt und wurden vom Wind fast davon geweht. Unter uns lag der jüngste Teil der Insel, in den 70er-Jahren den letzten Jahrhunderts entstanden, als nicht aus dem Krater, aber aus den Rändern Lava ins Meer floss. Die Hänge rechts vom Krater sind recht instabil, Experten rechnen damit, dass hier riesige Steinmassen runterkommen werden – so ähnlich wie damals, als der Naturhafen von Santa Cruz entstand. Der dadurch ausgelöste Tsunami würde in ca. 8 Stunden Miami und New Orleans erreichen. Wann das passieren wird, sei allerdings noch unklar.
Zum Abschluss des Ausflugs besuchten wir Ramon und seine Frau: Der über 70-jährige hat sein Leben der Keramik der Ureinwohner der Kanaren verschrieben. Über das Leben dieser Menschen, die bei Ankunft der Spanier im 15. Jahrhundert in Höhlen auf der Insel lebten, weiss man nur wenig: Skelettfunde weisen darauf hin, dass sie mit den Berbern verwandt seien – aber wie sie hierhin gekommen sind, obschon sie hier offenbar keine Schiffe benutzten, ist ein Rätsel. Sie lebten auf Steinzeitniveau, wie Felsmalereien verraten, hatten aber bereits wunderschöne Keramikgefässe, die sie zum Kochen, Lagern oder Wasserschöpfen einsetzten. Ramon mischt die Tonerde gemäss den Funden der Originale und kopiert die Töpfe und Krüge millimetergenau. Langsamer sei er geworden, meint er auf meine Frage, wie lange es denn daure, bis er die fein ziselierten Muster an einem Topf angebracht habe. 4 bis 8 Stunden für den kleinen, über 20 für den grossen. Wobei das Problem nicht die Hände seien, sondern das Gedächtnis: Früher habe er alle Abstände und Winkel auswendig gewusst, heute müsse er ab und zu nachsehen. Deswegen beschäftigt er jetzt auch Helfer, die ihm zu arbeiten. Und stellt als Abwechslung auch andere Sachen her – Krippenfiguren aus Ton, aber auch kleine Napoleons: Der Zwergentanz mit Napoleon-Karikaturen zählt hier zum Kulturgut.
Seine Frau ist für den wunderbaren Garten und den Souvenirshop verantwortlich, und auch sie leistet Hervorragendes. Ein kleines Museum in der alten Mühle rundet diese Besichtigung ab. Auf der Rückfahrt erfahren wir noch etwas über die heilende heissen Quellen, die durch den letzten Vulkanausbruch verschüttet, von Tauchern im Meer wiederentdeckt wurde – und um deren Wiedereröffnung sich nun örtliche Kommune, Inselverwaltung, Regionalverwaltung und der spanische Staat streiten, obschon der karge Süden dringend auf die zusätzliche Einnahmen angewiesen wären. Ein Ende sei nicht in Sicht, Das Ende unseres Ausflugs allerdings schon:
Gegen 16 Uhr sind wir zurück am Hafen, und da die AidaVita erst um 19.30 ablegt, habe ich doch noch Zeit, Santa Cruz zu besichtigen, wo mein Fotoworkshop stattgefunden hätte. Und hier fand ich auch all die schönen Balkons, Schnitzereien und Schmiedeeisen, die ich in La Laguna vermisst hatte. Und ich konnte in den einen oder anderen Innenhof rein 🙂
Vor dem Abendessen gönnte ich mir an Deck einen weiteren Froozy, kredenzt von Matthias Späth, den ich für den Blog fotografieren durfte. Während ich meine Fotos bearbeitete, fanden Tonproben für die Abendshow statt, wo der Kapitän sich zeigen sollte, und ich entschied spontan, dass das Abendprogramm auch heute ausfallen würde: Das war alles viel zu laut!
Ich zog mich in die Hemingway-Lounge zurück, um den Blogpost fertigzustellen, danach werde ich mich verkrümeln. Gute Nacht!
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