Die Betrüger sind NICHT die Asylanten

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Mich beschäftigt sehr, was in den letzten Monaten, Wochen und Tagen abgeht, und manchmal verschlägt es mir schlicht die Sprache, wenn ich hören oder lesen muss, wie Menschen, die in Sicherheit leben jene verurteilen, die alles aufgeben, ausser die Hoffnung, dass sie anderswo noch einmal neu anfangen können. Und ja, auch ich weiss, dass unser Sozialstaat nicht immer reibungslos funktioniert, dass es hier in der Schweiz (oder in anderen westlichen Ländern) Menschen gibt, die ganz oder teilweise durch die Maschen fallen. Komischerweise sind es aber selten diejenigen, die wirklich nichts haben, welche anderen Menschen das kalte Wasser missgönnen – sie sind oft gerne bereit, ihr letztes Stück Brot mit jemandem zu teilen.

Am lautesten sind Menschen, denen es eigentlich gut geht:

Sie haben ein Dach über dem Kopf, Schuhe an den Füssen, einen Fernseher in der Stube, ein Bier in der Hand – und viel Zeit, sich auszumalen, wie viel schöner ihr Leben sein könnte, wenn … der Staat sich mehr um sie kümmern würde … wenn sie auch so ein tolles Auto hätten wie der Nachbar … wenn sie im Lotto gewännen … wenn die Ausländer nicht wären. Was diese Menschen offenbar nicht wissen, nicht wissen wollen: Zufriedenheit kommt nie von aussen! Gerade bei den Lottomillionären sieht man ja gut, dass der Gewinn langfristig nur denen Glück bringt, die vorher schon mit sich und ihrem Leben mehrheitlich zufrieden waren. Nur Menschen, die ihr Glück in die eigene Hand nehmen, haben zumindest eine Chance, etwas zu verändern – wer keinen Lottoschein kauft, wird nie gewinnen!

Und gerade diese Menschen, die glauben, der Staat, das Schicksal, die Umstände oder irgend ein Gott bliebe ihnen schuldig, worauf sie doch Anspruch zu haben glauben – diese Menschen beschimpfen und bekämpfen jene, die ihr ausgesprochen ungewisses Schicksal selbst in die Hand nehmen, um Krieg, Hunger oder Hoffnungslosigkeit zu entgehen? Zerstören Unterkünfte, in denen sie selber keine Woche leben wollten – die aber für die Ankommenden eine massive Verbesserung ihrer Umstände sein könnten?

Grenzen zu!, schreien sie. Bleibt wo ihr seid, skandieren sie. Wir schicken euch zurück, knüppeln sie auf sie ein. Und merken nicht, wie lächerlich es ist, bei einer Sturmflut die Fenster zu schliessen. Lösst sich das Wasser deswegen auf? Machen die Fluten einen Bogen ums Haus? Mitnichten!

Was vielleicht wirklich helfen könnte, wäre sich zu überlegen, wieso denn diese Sturmflut überhaupt entstand? Was haben wir (die Gesellschaft, die Regierungen Europas und Amerikas, aber auch jene der Länder, aus denen die Menschen fliehen) getan, um diese Situation herbeizuführen? Könnte die Situation eventuell damit zusammenhängen, dass wir im Westen andere Länder über Jahrhunderte ausgebeutet haben? Dass wir Ressourcen abgeführt haben, ohne die Länder und Menschen wirklich angemessen zu entschädigen? Dass wir Know-how, Technologien und Patente viel zu wenig teilen bzw. zugänglich machen, weil wir ja unsere Produkte nicht mehr exportieren könnten, wenn die Menschen diese selber herstellen könnten?

DAS ist Betrug, meine Herrschaften!


Und ja, ich höre euch jetzt schon aufschreien:

WIR waren das nicht! WIR haben denen nichts weggenommen … WIR können nichts dafür.

Doch! Können wir! WIR kaufen Kleider zu Preisen, die kaum den Materialwert decken – und verhindern, dass die Produzenten einen fairen Lohn erhalten. WIR kaufen Aktien oder Obligationen (direkt oder via Pensionskassen etc.) von Betrieben, die Gewinn machen, weil sie andere ausbeuten. WIR fördern Krieg, weil wir Industrien fördern, welche an kriegen verdienen – um die Arbeitsplätze zu erhalten. WIR wählen PolitikerInnen, welche Probleme bewirtschaften, statt sie zu lösen. Und WIR verstecken uns – hinter dem Staat, den Hilfswerken, der Politik.

Einige, zum Glück, packen an:

Ich finde es bewundernswert, was zur Zeit an Hilfsbereitschaft mobilisiert wird: In Ungarn, in Österreich, in Deutschland, aber auch bei uns. Die Bilder, die uns erreicht haben (endlich!, bin ich versucht zu schreiben, denn Tote gab es vorher schon so viele, im Mittelmeer und andernorts, nur hatten wir die nie sehen wollen), haben aufgerüttelt und einige aus ihrer Schockstarre gelöst.

Nur: Mit Notübungen werden wir das Problem nicht lösen können, trotzt aller Hilfsbereitschaft.

Da ist ein Umdenken nötig, das ich nicht halb so gut beschreiben kann wie z.B. Peter Vornahme, dessen Hintergrundartikel aus der Zeit ich euch allen ans Herz lege:

Vorboten einer neuzeitlichen Völkerwanderung

Denn eines weiss ich:

  • Wenn ich – oder du – in einem Land leben würde, wo täglich Bomben fallen, wo Menschen geköpft und Mädchen Zwangsverheiratet werden:
    Wir würden versuchen, da raus zu kommen.
  • Wenn ich – oder du – in einem Land leben würde, wo die meisten Kinder nicht volljährig werden, weil sie an Krankheit oder Hunger sterben:
    Wir würden versuchen, da raus zu kommen.
  • Wenn ich – oder du – in einem Land leben würde, wo es kaum Arbeit gibt, wo selbst mehrere Jobs nebeneinander nicht reichen, um sich und die Kinder zu ernähren:
    Wir würden versuchen, da raus zu kommen.
  • Wenn ich – oder du – in einem Land leben würde, wo es mein Todesurteil sein kann, meine Meinung zu sagen:
    Wir würden versuchen, da raus zu kommen.
  • Wenn ich – oder du – in einem Land leben würde, wo die Regierung dich jederzeit zum Militärdienst abberufen und ans andere Ende des Landes schicken kann, für ein Taschengeld, das nicht zum Leben reicht, selbst wenn wir – irgendwann, man weiss nicht wann, entlassen würde:
    Wir würden versuchen, da raus zu kommen.
  • Wenn ich —oder du – in einem Land leben würde, wo es an allem fehlt, aber in den Medien erfahre, wie gut es anderen Menschen in anderen Ländern geht: Wir würden versuchen, da hin zu kommen.

Nenn es Paradies, Shangri-La, das Gelobte Land und heute eben Mythos Alemanya:
Dieser Wunsch, dahin zu gehen, wo es einem gut geht, wo Krieg, Tod und Verderben nicht um jede Ecke lauern, ist uralt. Und ja, auch wir hier sind ihm schon gefolgt, wie diese Kurzgeschichte der Schweizer Migration zeigt.

Also: Gesamtbild betrachten, etwas Demut entwickeln und die Herzen öffnen, liebe Mitbürger.

Denn ganz ehrlich:
Das einzige, was uns von den ankommenden Menschen unterscheidet ist die Tatsache, dass der Storch seinerzeit mit uns gerade hier gelandet ist.

Ein Gedanke zu „Die Betrüger sind NICHT die Asylanten“

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