Ecopop NEIN

Spread the love

Mit Fakten gegen Ecopop

Die Diskussion über Ecopop nimmt für mich beängstigende Ausmasse an. Real existierende Ängste, Sorgen und Bedenken von unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen werden aufgeblasen, überhöht und gegeneinander ausgespielt. Fakten stören da offenbar nur … Ich versuche auf Twitter und Facebook immer wieder gegen zu steuern, aber es ist fast unmöglich, GegnerInnen auf eine sachliche Ebene zu holen.

Ich nehme hier  einen neuen Anlauf – und zwar auf Basis des offiziellen Initiativtextes, wie er von den Initianten publiziert wurde.

Im Folgenden findet ihr den Initiativtext in grün, meine Anmerkungen in schwarz:

Die Ecopop-Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» stellt, gestützt auf Art. 34, 136, 139 und 194 der Bundesverfassung und nach dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte, Art. 68ff, folgendes Begehren (im Bundesblatt veröffentlicht am 3. Mai 2011):

Bereits im Namen wird eine Behauptung aufgestellt, die wissenschaftlich nicht untermauert ist. Der Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Armut ist NICHT linear, wie beispielsweise das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung festhält: Kein eindimensionaler Ursache-Wirkungs-Zusammenhang.

 

I    Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 73a (neu) Bevölkerungszahl

1 Der Bund strebt auf dem Gebiet der Schweiz eine Einwohnerzahl auf einem Niveau an, auf dem die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft sichergestellt sind. Er unterstützt dieses Ziel auch in anderen Ländern, namentlich im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

2 Die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz darf infolge Zuwanderung im dreijährigen Durchschnitt nicht um mehr als 0,2 Prozent pro Jahr wachsen.

auf einem Niveau –> unbestimmt. 0.2 Prozent. Sehr bestimmt – aber nirgends belegt. Woher kommt diese Zahl? Wieso soll gerade sie die natürliche Lebensgrundlage sicherstellen? Wird von den Initianten meines Wissens nirgends belegt …

3 Der Bund investiert mindestens 10 Prozent seiner in die internationale Entwicklungszusammenarbeit fliessenden Mittel in Massnahmen zur Förderung der freiwilligen Familienplanung.

Mit welchem Recht? Wir Schweizer würden es ja auch nicht schätzen, wenn Afrikaner, Amerikaner oder Chinesen uns vorschreiben, wie unsere Familienplanung auszusehen hat. Obschon gerade die Chinesen ja durchaus sagen könnten, übernehmt endlich mal unsere Ein-Kind-Politik!

4 Er darf keine völkerrechtlichen Verträge abschliessen, die gegen die Bestimmungen dieses Artikels verstossen oder Massnahmen verhindern oder erschweren, die zur Erreichung der Ziele dieses Artikels geeignet sind.

Also Zahlen über Menschlichkeit? Klingt etwas engstirnig für mich …

II    Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert:

Art. 197 Ziff. 9 (neu)

9. Übergangsbestimmung zu Artikel 73a (Bevölkerungszahl)

1 Nach Annahme von Artikel 73a durch Volk und Stände müssen völkerrechtliche Verträge, die den Zielen dieses Artikels widersprechen, schnellstmöglich angepasst werden, spätestens aber innert vier Jahren. Nötigenfalls sind die betreffenden Verträge zu kündigen.

Und dann? Haben wir dann weniger Probleme? Oder einfach keine Grundlagen mehr, auf deren Basis sie gelöst werden können?

2 Nach Annahme von Artikel 73a durch Volk und Stände darf die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz infolge Zuwanderung im ersten Kalenderjahr nicht um mehr als 0,6 Prozent, und im zweiten Kalenderjahr nicht um mehr als 0,4 Prozent zunehmen. Ab diesem Zeitpunkt, und bis die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 73a in Kraft gesetzt wird, darf die ständige Wohnbevölkerung nicht um mehr als 0,2 Prozent pro Jahr zunehmen. Eine höhere Zunahme in den Jahren bis zur Inkraftsetzung der Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 73a muss innerhalb von fünf Jahren nach Inkraftsetzung dieser Ausführungsgesetzgebung ausgeglichen werden.

Und was, wenn sie das tut? Wer bestimmt, wer gehen muss? Und wer ersetzt die Ausländer, die z.B. in der Pflege oder im Gastgewerbe einen Grossteil der Arbeit erledigen? Und was passiert, wenn die Länder, deren Menschen wir heim schicken, uns alle Auslandschweizer zurückschicken? Müssen wir die aufnehmen, selbst wenn die 0.2% bereits erreicht sind? Oder werden die zu Flüchtlingen, die sich irgendwo auf der Welt ein Land suchen müssen, das barmherziger ist als die Schweiz? Und müssen da warten, bis wieder Plätze in der Schweiz frei werden?

ÜBRIGENS:

Wer auf der Seite ecopop.ch Antworten auf die offenen Fragen sucht, sucht vergebens. Stattdessen gibt es neue Behauptungen, die weder belegt noch untermauert werden. Zynisch finde ich es, wenn man den Frauen in Niger, Mali, Burkina Faso oder Afganistan Verhütungsmittel aufzwingen will – mit der Begründung, man «möchte dem UNO-Menschenrecht auf Selbstbestimmung in Sachen Familienplanung mehr Nachdruck verleihen». 

Der Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum, Zuwanderung und Zersiedelung wird von den Initianten als linear-zusammenhängend dargestellt. Dass aber der Raumverbrauch generell gestiegen ist (auch in Gegenden ohne Zuwanderung), weil sich unsere Lebensform, die Mobilität, die Arbeitswelt etc. geändert haben, wird unterschlagen bzw. sogar explizit negiert, ohne dass die Behauptungen untermauert werden. Zahlenbezüge sind ziemlich willkürlich:

Gemäss BfS (Bundesamt für Statistik) haben sich im Zeitraum 2007 bis 2011 die Personenkilometer auf Strasse, Schiene und Wasser von rund 113,2 Milliarden auf 121,8 Milliarden um 7,6% erhöht. In der gleichen Zeit hat sich die ständige Wohnbevölkerung um 5,9% erhöht. Damit sind rund 80% des gestiegenen Mobilitätskonsums seit Einführung der vollen Personenfreizügigkeit durch das Bevölkerungswachstum verursacht, und nur rund 20% der Verkehrszunahme ist durch den gestiegenen Pro-Kopf-Konsum bedingt.

Die Behauptung, dass rund 80% des gestiegenen Mobilitätskonsums durch das Bevölkerungswachstum von 5,9% verursacht wird,  macht aus einer Synchronizität eine Folge aus Ursache und Wirkung. Das wäre so, wie wenn ich sage, von Mai bis Juni sind in der Schweiz 2100 Kinder zur Welt gekommen, in der selben Zeit hatten wir 7 Bundesräte, also macht das pro Bundesrat 300 …

Freiwillige Familienplanung ist ein Menschenrecht  – da gehe ich mit den Initianten ausnahmsweise einig. Aber freiwillig heisst auch, dass wir den Menschen nichts aufdrängen. Und dass wir sie uneigennützig unterstützen, bilden und stärken. Wenn wir aber Verhütung propagieren, damit weniger Menschen zu uns kommen, ist das für mich verlogen und egoistisch.

«Wir alle, egal ob frisch zugezogen oder schon seit Generationen hier, sind besorgt über die spürbare Abnahme der Lebensqualität, ausgedrückt in Überbauung und Verlust von Naherholungsräumen, Lärm, überfüllten Strassen und Zügen.» 

Mag sein, dass ihr schlechte Erfahrungen gemacht habt. Und ja, es lohnt sich sicher, für mehr Lebensqualität zu kämpfen, weniger Lärm zu produzieren und sich zu überlegen, wie man zu Stosszeiten Strassen und Züge entlasten kann. Nur: Selbst wenn alle Ausländer erst ab 9 Uhr Zug fahren dürften, wären die Züge zu Stosszeiten wohl überfüllt. Und MEINE Lebensqualität wird durch viele ausländische Freundinnen und Freunde sowie ArbeitskollegInnen bereichert, nicht eingeschränkt.

«Dass es keine Frage von Schweizer versus Ausländer ist, kann auch direkt aus der Formulierung abgelesen werden. Die Beschränkung auf 0,2% Nettozuwanderung würde erlauben, Millionen von Ausländern in die Schweiz zuziehen zu lassen, falls ähnlich viele Menschen die Schweiz verlassen. Die Nationalität spielt bei der Zuwanderungsbilanz keine Rolle. »

DAS nenne ich einen Lösungsansatz:

Wenn alle Initianten und Unterstützer der Ecopop-Initiative, die sich hier beengt fühlen, in andere Länder auswandern, dann haben wir wohl kein Problem, die 0.2 % einzuhalten. Natürlich könnte es eventuell schwer werden, wenn die anderen Länder dankend ablehnen und den ausreisewilligen Schweizern nur so viele Visa geben, wie wir Bürgerinnen aus ihrem Land hereinlassen …

Und da den Initianten ja so sehr an einer weltweiten Verbesserung gelegen ist, schlage ich vor, dass sie sich selbst vor Ort in jenen Ländern engagieren, wo sie Familienplanung verbessern wollen.

Falls dies aus unerfindlichen Gründen nicht möglich ist, gehe ich davon aus, dass jede/r einzelne von ihnen seinen ökologischen Fussabdruck so verkleinert, dass er das Niveau der Zweiten und Dritten Welt erreicht.

Ich geb auf!

Echt, ich habe die ganzen Argumente durchgelesen, aber da ist so ein Durcheinander von Fakten, Behauptungen, Forderungen und Annahmen, dass ein Aufdröseln kaum möglich erscheint.

Ja, ich weiss, es gibt real existierende Probleme, aber die Initiative löst kein einziges davon. Deshalb versuche ich es anders rum:

  • Wenn jemand wirklich der Überzeugung ist, wir würden in der Schweiz zu dicht bei einander wohnen, arbeiten und leben – dann soll er oder sie zuerst sehen, wie sein eigenen Raumbedarf in den letzten Jahren gestiegen ist, und wie er / sie sich verkleinern könnte bzw. aus dem bestehenden Raum mehr herausholt
  • Wenn jemand sich sorgt, dass wir die Ressourcen weltweit mit Faktor 1.5 der regenerierbaren Kapazität verbrauchen, dann soll er / sie mal sehen, wie der eigene Fussabdruck auf unter 1 gesenkt werden kann.
  • Wenn jemand glaubt, dass Ausländer unsere Lebensräume wegnehmen, dann soll er / sie sich gezielt auf Stellen bewerben, die wir sonst genau diesen Menschen gerne überlassen: In der Pflege, auf dem Bau, im Schichtbetrieb, in der Gastronomie etc.
  • Wenn jemand findet, die Lebensqualität in seiner Strasse, in seinem Dorf oder seiner Stadt nehme eher ab statt zu, soll er / sie sich engagieren: In einem Verein, in der Sozialarbeit, in den politischen Parteien etc.
  • Wenn jemand findet, Frauen in anderen Ländern sollten besser über Verhütung Bescheid wissen, bessere Bildung und mehr Selbstbestimmung geniessen, so soll er / sie sich entweder vor Ort engagieren und / oder sich hier bei uns einsetzen, dass mehr Geld für die Entwicklungshilfe gesprochen wird (und diese Budgets nicht immer wieder kürzen, wie es in den letzten Jahren immer wieder der Fall war.)

Kurz:  
Packt die real existierenden Probleme an, statt euch hinter dieser Initiative zu verstecken!

 

 

 

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Ecopop NEIN“

  1. Pingback: Zusammenfassung der Woche ab 03.11.2014 | Ironblogger Schweiz
  2. Bin gerade erneut darauf angesprochen worden, dass es eben echte Probleme gäbe: Vollgestopfte Züge, in denen man mehr Englisch als Deutsch höre; Stellen, bei denen mehr auf (ausländische) Diplome als auf Erfahrung geachtet werde etc. Hier meine Antwort:

    Ich weiss! Deswegen finde ich ja, wir sollten die real existierenden Probleme konkret angehen: Dinge wie Home Office, zum Beispiel, damit man nicht pendeln muss. Flexiblere Arbeitszeiten, bessere Raum-Ausnutzung … Bewusst werden, was wirklich wichtig ist – und bei sich anfangen mit Verkleinern, sorgsam umgehen mit Ressourcen. Und ja, ich finde, wir sollten grundsätzlich über die Werte von Arbeit reden. Zeugnisse, Diplome oder Titel erledigen keine Arbeit – das tun Menschen. Und ich verstehe auch nicht, wieso meine Arbeit so viel mehr wert sein soll als jene einer Krankenpflegerin. Mehr Menschlichkeit, mehr Bewusstsein, mehr Respekt – das alles wünsche ich mir, dafür setze ich mich ein, hier in meinem Flecken. Das löst nicht alle Probleme, aber es hilft, die Lebensqualität für mich und mein Umfeld zu verbessern – mehr als jede Trotzabstimmung!

Kommentare sind geschlossen.